Zu den Akten gelegt
Jede Schule hat sie: Akten, über ihre
Schüler. Ehemalige, derzeitige...möglicherweise sogar zukünftige,
wenn es sich bei dieser Schule um eine sehr renommierte Einichtung
handelt, deren Warteliste gewöhnlich sehr lang ist.
Ich erinnere mich an ein Gespräch im
Englischunterricht, vor unzähligen Jahren, als ich noch jung und
hübsch war :D
Mein Englischlehrer meinte damals, das
elitäre private Jungeninternat Eton sei dermaßen überlaufen, dass
man bereits vor der Geburt des Kindes einen Platz buchen müsse.
Auf die Frage, was man denn mache, wenn
man den Schulplatz dann sicher hätte, aber zufällig ein Mädchen
zur Welt brächte, rief er “Ja, Herrgott, dann müssen Sie eben
nochmal ran! So einen Schulplatz kann man sich ja nicht entgehen
lassen!”
Na sehr schön. Das wäre mal ein
Erklärungsansatz für die 20 Kinder, die der gute Johann Sebastian
Bach in die Welt setzte. Spätestens als er Kantor war, waren die
Plätze in der Thomasschule für die Jungs ja gesichert. Begehrt sind
diese Plätze noch heute. Neben den Bach-Söhnen hat übrigens auch
der bereits angesprochene Richard Wagner die Thomasschule besucht.
Und den bösartigen Kalauer über die freigewordenen Plätze derer
Bach-Kinder, die das Schulalter nicht erreichten, welche man dann auf
dem Schwarzmarkt verhökern konnte (also die Plätze, nicht die
Kinder, meine ich...), erspare ich mir an dieser Stelle aus mehreren
Gründen. Erstens weil es nun wirklich pietätlos und makaber wäre,
und zweitens weil die Thomasschule eben nicht Eton ist, sondern eine
öffentliche Schule (gegründet im Jahr 1212 zählt sie sogar zu den
ältesten öffentlichen Schulen im deutschen Sprachraum). Nicht nur,
dass bereits im 13. Jahrhundert Mitglieder aller Stände ihre Kinder
in die Thomasschule stecken konnten, sie verfügte sogar über
Freitische; Kinder armer Eltern bezahlten also kein Schulgeld, wurden
versorgt und ersangen sich ihren Unterhalt quasi im Thomanerchor, für
den sie in der Schule auch ausgebildet wurden. Ganz wie ihr
berühmtester Kantor Johann Sebastian Bach selbst, der als Waisenkind
in Ohrdruf einen solchen Schulplatz innehatte (was ihn im Übrigen
nicht davon abhielt, sich über die schlechten Sänger des
Thomanerchors auszulassen und einen Profichor zu fordern.... )
Prügeln musste man sich um den Schulplatz also nicht.Dafür konnte man allerdings auch rausfliegen aus
dieser Schule. Aus allen möglichen Gründen. Meine eigene
Schülerakte vermerkt auch so einige Dinge, die sehr deutlich zeigen,
dass ich dazu erzogen wurde, nicht blind zu tun, was mir aufgetragen
wurde, so ich dahinter keinen Sinn erkennen konnte. Das Matrikelbuch
der Thomasschule in Leipzig vermerkt bei so manchem Schüler
Ähnliches.
Bockig, faul, unzüchtig
(ok...halt...unzüchtig stand bei mir mal zur Abwechslung NICHT in
der Akte...verbohrt und bockig kommt der Sache schon näher :) )...
gute Gründe, seine Siebensachen zu packen und den Heimweg
anzutreten. Und das kann manchmal schneller gehen, als man gedacht
hätte.
In diesem Buch finden sich also neben
den Eintragungen, wer die Schule besucht hat (handschriftlich in
Schweinelatein vom Schüler selbst eingetragen, nebst Kurzbiografie
und Erklärung, wie lange er sich denn in diesem Institut
fortzubilden gedenke). Und dann eben so ab und an eine Erklärung
dafür, weshalb eben diese angegebene Zeit nicht eingehalten wurde.
Die stammte dann allerdings meist vom Rektor. Der Schüler befand
sich zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon auf halbem Weg nach
hause und legte sich unterwegs fieberhaft eine möglichst
glaubwürdige Ausrede für seine Eltern zurecht.
Just im Jahr 1723, in dem Johann
Sebastian Bach Kantor der Schule wurde, war eine neue Schulordnung
verabschiedet worden, die klare disziplinarische Maßnahmen gegen die
Schüler vorsah (was Bach vielleicht ganz recht gewesen sein mag.
Einige andere Stellen in dieser neuen Ordnung sagten ihm, der
eigentlich noch die auslaufende Schulordnung im Kopf gebabt hatte,
als er den Vertrag in Leipzig unterschrieb, zwar etwas weniger zu,
aber dazu ein anderes Mal.)
Besagtes Matrikelbuch verzeichnete also
auch die Gründe, aus denen der eine oder andere Schüler unehrenhaft
entlassen wurde, was das Ganze zu einem spannenden Werk macht: Man
erfährt quasi Namen, Stand, Herkunft und einen vereinfachten
Lebenslauf, findet den einen oder anderen Vermerk über das Verhalten
des Schülers, kann dessen Handschrift mit anderen Dokumenten, wie
beispielsweise abgeschriebenen Partituren, vergleichen, ein bisschen
nach dem Namen des Schülers nach Beendigung der Schulzeit oder
dessen außerschulische Aktivitäten noch während seiner Zeit in
Leipzig forschen. Und erhält so ein relativ umfassendes Bild über
das Leben an der Thomasschule der jeweiligen Zeit. Und natürlich
erfährt man nicht zuletzt etwas über die Kantoren, die die Jungs
unterrichtet haben.
Morgen, Kinder, wird's nicht besonders
viel geben, außer, dass ich mich auf den Weg nach Leipzig machen
werde, wo ich das Bach-Museum zu stürmen gedenke. Da liegt es
nämlich, das Matrikelbuch, auf Heu und auf Stroh. Oder in einem
Glaskasten. Man weiß es nicht, so genau.Im Endeffekt brauche ich ja auch nur den Katalog der Sonderschau von vor 2 Jahren, und das wird ja wohl irgendwie zu beschaffen sein. Kataloge alter Ausstellungen kann man dort jedenfalls erwerben, Beweise dafür stopfen mir zuhause die Regale voll :)
Jedenfalls dachte ich, ich könnte das
Grassi- Musikinstrumenten- und das Bachmuseum verbinden, mich zu Tode
fotografieren und eine kleine Reihe starten, die zwar nicht ganz der
Leipziger Notenspur folgen, jedoch einige Sehens- und
Wissenswürdigkeiten abdecken soll.
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