Winterreise
Gestrandet. Irgendwo im Nirgendwo, auch
bekannt unter dem schönen Namen Nudelstadt Riesa, mit dem Hiweis auf
einen Gleis- oder Leitungs-Defekt (je nachdem, wer die Durchsage
gerade machte; offenbar geht man in Riesa davon aus, dass die Leute
zwar wissen, was ein Gleis ist, mit dem Begriff “Leitung” im
Kontext des Fernverkehrs allerdings nicht viel anfangen können,
weswegen ab und zu die Gleisvariante verkündet wurde) und der Bitte,
die werten Fahrgäste mögen sich doch gedulden, nicht ausrasten und
den Ersatzverkehr nehmen, der nach über einer Stunde Wartezeit
endlich mal so nett war, öffentlich zu erklären, dass er nicht zu
kommen gedenke, da der Gleis- oder wahlweise Leitungsschaden ja
sicher bald behoben sei.
Irgendwann wurde die Sperre dann auch
tatsächlich aufgehoben, was allerdings nicht bedeutete, dass ein Zug
einfahren konnte. Und als es schließlich so weit war, dass uns der
nächste Zug weiter nach Leipzig befördern konnte, gab es ja auch
noch den Fahrplan, der wiederum besagte, dass wir noch gute 40
Minuten bis zur nächsten planmäßige Weiterfahrt nach Leipzig
hatten. Bei -8°C und ohne halbwegs sinnvolle Angaben zur
Vorgehensweise war das ein wirklich unangenehmer Vormittag, der sich
bis in den Nachmittag hineinzog und gemeinsam mit weiteren
unvorgehergesehenen Vorkommnissen schließlich dazu führte, dass
sich mein Besuch in LE von geplanten 8 auf tatsächliche 3 Stunden
verkürzte, die ich dann eben im Bachmuseum zubrachte.
Der Katalog “Netzwerk Thomanerchor”,
der ja eigentlich der Grund meines Besuches im Thomaskirchhof war,
lag übrigens als sehr schönes Ansichtsexemplar aus,:Eine
verkäufliche Variante habe ich leider nicht gefunden, dafür habe
ich jetzt einen Grund, zeitnah nochmal hinzufahren, die Sache hat
also auch ihr Gutes :)
Dem Guten Johann Sebastian selbst
bräuchte ich an dieser Stelle wohl nichts vorzujammern. Wer selbst
eimal über 400 Kilometer zu Fuß zurückgelegt hat, um sein großes
Vorbild, den Komponisten und Organisten Dietrich Buxtehude spielen zu
hören, der weiß, was was wahre Fanliebe ist. Von Riesa nach
Leipzig... das ist ein Klacks gegen den Fußmarsch von Arnstadt nach
Lübeck.
Gut, man könnte es auch als eine Form
von Stalking bezeichnen, einfach so vor der Türe des Idols
aufzutauchen und sich mit dem Hinweis auf große Verehrung und noch
größere Blasen an den Füßen in dessen Wohzimmer breitzumachen,
aber das waren ja schließlich auch andere Zeiten.
Wobei es eine interessante Überlegung
wäre...was hätte wohl der Herr Bach gesagt, wenn ich selbst einfach
so vor seiner Türe gestanden hätte und ihn besuchen wollte?
Was Anna Magdalena, bzw Maria Barbara gesagt hätten, kann ich mir da schon eher vorstellen. Ich denke, “Mach Dich vom Acker, Kleine!” wäre durchaus eine mögliche Ansage gewesen.
Was Anna Magdalena, bzw Maria Barbara gesagt hätten, kann ich mir da schon eher vorstellen. Ich denke, “Mach Dich vom Acker, Kleine!” wäre durchaus eine mögliche Ansage gewesen.
Fast 4 Monate soll sich der Herr Bach
in Lübeck bei Buxtehude aufgehalten haben, was man den eigenen
Eltern nachträglich mal unter die Nase reiben könnte, die sich zu
meinen Teenagerzeiten schon unfassbar darüber aufregten, wenn ich
ein oder zwei Tage damit verbrachte, die Wohnorte meiner
Lieblingsstars in der jeweiligen Urlaubsstadt aufzusuchen, und dort
auf ein Autogramm zu warten. So, liebe Mama... denk mal darüber
nach. Ich hätte auch gleich vier Monate lang vor Stings Wohnungstüre
sitzenbleiben können. Jawoll! :D
Nicht einmal ordentlich abgemeldet
hatte er sich bei seier Arbeitsstelle in Arnstadt. Klar, Urlaub hatte
er beantragt. Aber nur für vier Wochen. Die restlichen 12 hielt er
dann wohl auch nicht mehr für so wichtig, als dass er seine
Vorgesetzen mal hätte darüber in Kenntnis setzen müssen. Es ist ja
nicht so, dass er den Antrag auf Verlängerung persönlich und zu Fuß
hätte abgeben müssen. Dafür gab es schließlich Postkutschen. Und
wenn er die von Anfang an bestiegen hätte, anstatt sich 12 paar
Sohlen durchzulaufen (zugegeben, die Zahl war jetzt wild geraten),
dann wäre er erstens ne ganze Weile früher in Lübeck angekommen und
hätte zweitens nicht aller Wahrscheinlichkeit nach ausgesehen, als
müsse er mal in die Waschmaschine gesteckt werden. Aber damals war
er ja noch jung. Und ungekämmte Zotteln können bei einem jungen
Mann durchaus auch da noch reizvoll sein, wo sie bei einem älteren
Herrn schon ziemlich nach einer Adresse unter der Brücke aussehen.
Vier Monate lang habe ich mich nicht
aufgehalten, im Thomaskirchhof, tatsächlich waren es nicht einma 4
Stunden, aber dafür habe ich ein paar Dinge mitgenommen, im Kopf, im
Druck und in Krakelschrift auf Block. Und für ein Foto mit Cheffe
hat es dann auch noch gereicht. Auch wenn ich mich mit diesem Foto
auch um einen Platz als Moderatorin der Tagesthemen bewerben
könnte... schrecklich. Nur er weiß eben, wie man bei solchen
Gelegenheiten zu gucken hat. Ernsthaft und vollkommen unbeeindruckt
von dem ganzen Gedöhns um einen herum. Was man sich bei 20 Kindern
und einem ganzen Stall voller Thomanerkinder in einem Haushalt, in
dem es nach Aussage des Sohnes zuging wie in einem Taubenschlag,
wahrscheinlich auch frühzeitig aneignen sollte.
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