Sex and Drugs and Berlioz
Fans, die ihren Lieblingskünstlern mit
unzähligen Liebesbekundungen auf die Nerven fallen, sind nichts
Neues in der Branche. Künstler, die ihren Zuhörern auf den Geist
gehen sind wohl ebenso zahlreich zu finden. Künstler, die ihre
eigenen Lieblingskünstler mit Werken und Stücken überschütten, in
der Hoffnung, bei diesen irgendwann doch noch einmal Anerkennung zu
finden... auch die gibt es. Zwar meist nicht so offensichtlich, aber
Bruckner hatte es mit Wagner, Bach stiefelte eigenfüßig von
Arnstadt nach Lübeck, um Buxtehude spielen zu hören, Schubert
soll sich niemals wirklich getraut haben, Beethoven anzusprechen,
weil er so beeindruckt von ihm war... tja, und dann gibt es da noch
Hector Berlioz. Der war in jeder Hinsicht ein Kapitel für sich.
Dass er zunächst nicht Komposition
sondern Medizin studierte, soll hier nur insofern erwähnt werden,
als er auf so manchen Zeitgenossen (und späteren Hörer) den
Eindruck machte, er wisse genau, wo er sich welche Substanz
verschreiben oder besorgen lassen konnte, was allerdings auch im
Bezug zu seiner Zeit gesehen werden muss. Die sogenannte „Grüne
Stunde“, in der man sich nach getaner Tat noch das eine oder andere
Schlückchen Absinth hinter die Binde goss, oder der Besuch eines
Opiumhauses waren damals nicht gleich mit polizeilichen Razzien oder
ähnlichem verbunden, was zu einigen sehr interessanten Werken der
Kunst- und Musikgeschichte geführt hat... Jean Cocteau sei an dieser
Stelle als Zeichner und Schriftsteller angeführt. Aber bleiben wir
bei Berlioz.
Im Jahr 1827 gab die irische
Schauspielerin Harriet Smithson die Ophelia in einer
Hamlet-Aufführung im Théâtre National de l' Odéon in Paris, wo
Hector Berlioz beinahe die Augen aus dem Kopf und von seiner Loge ins
Parkett hinunter fielen. Er war hin- und hergerissen von ihrer
Schönheit (was jetzt nicht weiter verwunderlich ist, wenn man sich
einmal die Bilder der Frauen aus seiner Herkunftsfamilie betrachtet).
Dumm nur, dass sie ihn überhaupt nicht toll fand und die
darauffolgenden Briefe zusammen mit der übrigen Fanpost ihrem
Management zur Beantwortung oder zum Wegschmeißen übergab. Tja.
Erstmal könnte man das unter „dumm gelaufen“ verbuchen und sich
eine andere Schmachtette suchen, aber dann wäre man ja nicht
Berlioz. Der setzte sich nämlich hin und schrieb mal schnell eine
fünfsätzige abendfüllende Sinfonie, eigentlich ein „Drame
Musical“, ein musikalisches Drama also sozusagen, was auch erklärt,
weshalb das Ding nun ausgerechnet 5 statt der üblichen vier Sätze
verwendet. Für solcherart Veränderungen war bislang ja eigentlich
Beethoven zuständig aber der stand zum Entstehungszeitpunkt der
Sinfonie Fantastique ja schon nicht mehr zur Verfügung. 5 Akte hat
das antike Drama, somit hat das musikalische Drama eben 5 Sätze.
Dachte sich jedenfalls Berlioz und schrieb ein Stück über einen
jungen Künstler, der sich in eine schöne Frau verliebt, die nichts
von ihm wissen will. Haben wir irgendwo schonmal gehört, oder nicht?
Nachdem er sich grundlegend verknallt
hat und ebenso gründlich abgewiesen wurde, trifft der Künstler
seine Angebetete im 2. Akt auf einem Ball wieder, dargestellt durch
eine Menge Anmerkungen zu Beginn des Satzes und die sogenannte „Idée
Fixe“, einer Sache, die Wagnerianer ganz einfach als Leitmotiv
bezeichnen würden. Jedes Mal, wenn sich die Holde zeigt, erklingt
auch ihre „Erkennungsmelodie“ (ein Wort, für das ist
wahrscheinlich gesteinigt würde, wenn dies hier kein Blogbeitrag,
sondern eine Seminararbeit wäre). Der dritte Satz bringt uns rein
von der Geschichte her wenig neues: Der junge Künstler trifft die
Dame seiner Herzens. Und ist ihr mal wieder egal. Darauf einen
Dujardin.
Diesmal allerdings zeigt sich, dass er
nicht der einzige ist, dem sie gefällt: Zwei Hirten, die sich (durch
ihre Flöten) unterhalten, sehen sie ebenfalls, und als einer von
ihnen die Idee Fixe auf der Flöte übernimmt, kommen dem Künstler
ernsthafte Zweifel an ihrer Treue... na klar...hallo? Sie mag ihn
nicht... will ihn noch nicht einmal kennenlernen, soll sich aber
vollkommen auf ihn beschränken? Finde den Fehler!
Zugegeben, der Absinthgenuss war damals
wie bereits erwähnt auf seinem Höhepunkt und Opium zu rauchen war
auch kein Sport für Kriminelle, aber ??? Was uns übrigens gleich
zum Thema des vierten Satzes bringt: Drogen und Drogenräusche. Der
gute Künstler pfeift sich nämlich unverzüglich eine große Portion
Frustopium rein (also quasi das Pendant zum weiblichen
Kummerschokoladenkoma) und ist auf seinem Trip überzeugt, er habe
die schöne Geliebte eigenhändig umgebracht, weil die nicht die
Seine werden wollte. Daraufhin lässt er sich zum Richtplatz führen,
wo ihm selbst der Garaus gemacht wird.... Kinder lasst die Finger von
den Drogen, ihr seht ja, wozu das führen kann...
Im fünften und letzten Satz befindet
er sich dann urplötzlich kurz hinter Hogsmeade, trinkt ein
Butterbier mit Professor Mc Gonagall und fällt vor Schreck fast von
seinem Besen, als sich Bibi Blocksberg, die soeben auf ihrem Nimbus
2000 an ihm vorbeiflattert, als die tot geglaubte Geliebte entpuppt.
Schließlich veranstalten die Hexen zu den Klängen des Cantus Firmus
des Dies Irae („Tränenreich wird dieser Tag“, ein Teil der (=
seiner??) katholischen Totenmesse) eine Flugshow, bei der uns Hören
und Sehen vergeht.
Im Grunde also ein Libretto, aus dem
sich auch eine Doom-Metal-Oper erschaffen ließe. Soviel zum Thema
„Hört Klassik, die ist harmlos und nicht so gefährlich wie dieser
ganze Rock'n'Roll.
Wozu die ganze Geschichte? Um drei wichtige Dinge auszudrücken:
- Hartnäckigkeit kann sich lohnen. Wenn man ganz viel Zeit hat.Die gute Harriet Smithson bekam die Sinfonie nämlich tatsächlich zu Ohren. Genau zwei Jahre nach ihrer Erstaufführung allerdings, was sie aber nicht davon abhielt, sich einigermaßen geschmeichelt zu zeigen und dem guten Hector ausrichten zu lassen, man könne sich ja vielleicht doch mal treffen. Wer nun lacht und sich denkt „Na klar, der hatte ja nichts besseres zu tun, als herumzusitzen und auf Antwort zu warten“, der kannte den Herrn Berlioz nicht (wie auch, er weilt seit 1869 nicht mehr unter uns, den habe ja nicht mal mehr ich erlebt, und ich fühle mich des öfteren ziemlich alt). Der hatte nämlich tatsächlich nichts besseres zu tun, willigte in das Treffen ein, und ein Jahr später läuteten die Hochzeitsglocken. Man kann also alles erreichen, wenn man nur am Ball bleibt.
- Manchmal sollte man doch auf die Zeichen der ersten Stunde hören und sich auf die erste Intuition verlassen. Weitere 2 ziemlich unglückliche Jahre später, waren die Berlioz-Smithsons nämlich bereits wieder geschiedene Leute.
- Es kann gar nicht so dumm laufen, dass nicht wenigstens noch ein cooles Musikstück dabei herausspringen kann.
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