An das Ferne Vorbild
Wie
ist das eigentlich, wenn man für einen anderen Menschen komponiert?
Ich spreche hier übrigens nicht von Auftragswerken oder
Kompositionen, die man unter Pseudonym oder gleich ganz unter der
Prämisse schreibt, dass sie ein anderer als die seinigen ausgeben
kann. Was ich meine ist, eine andere Person oder ein anderes Wesen
vor Augen zu haben, und mit eben diesem Bild an die Arbeit zu
gehen.
Dabei
muss es sich auch nicht notwendigerweise um die Liebe zwischen Frau
und Mann (oder eben Mann und Mann oder Frau und Frau...ich denke, es
ist klar, von was für einer Art Gefühl ich hier spreche) handeln.
Wer jetzt an Johann Sebastian Bachs Motto "Soli Deo Gloria"
denkt, hat verstanden, worum es mir geht. Der Andere im Herzen ist
ein ziemlich flexibles Bild. Sogar eine politische Idee kann damit
verbunden sein. Wellingtons Sieg beispielsweise, oder ein paar
ziemlich absurde nationalsozialistische Gedanken. Liebe im Sinne von
Begeisterung für eine Person oder eine Sache, kann auch im
musikalischen Sinn sehr anregend sein. Erschreckend anregend sogar.
Große
Werke wurden auf diese Weise geschrieben. Beethovens Liederzyklus "An
die Ferne Geliebte" beispielsweise. Alban Berg hat die Initialen
seiner Angebeteten auf dieselbe Weise in die Noten geschummelt, wie
Bach seinen eigenen Nachnamen, wie viele Songs auf dem hetigen
Popularmusikmarkt handeln denn mal NICHT von Liebe? Genau!
Wie
aber fühlt es sich dann an, von eben dieser Person abgelehnt und
enttäuscht zu werden? Beethovens "Ferne Geliebte" blieb
hauptsächlich eben das. Fern. Das Titelblatt der Napoleon Bonaparte
gewidmeten dritten Sinfonie "Eroica" soll derselbe Ludwig
van übrigens wütend zerrissen haben, nachdem eben dieser Napoleon die Ideen der
Gleichheit und Brüderlichkeit verraten und sich selbst zum Kaiser
gekrönt hatte. Und Schubert, der beinahe siebzig Gedichte von Johann
Wolfgang von Goethe vertont hatte (unter anderem eines seiner
bekanntesten Lieder: "Der Erlkönig", das man sogar dann
kennt, wenn man eigentlich nichts von Schubert kennt), bekam nicht
einmal einen müden Rückschein mit Autogramm oder zumindest eine
Empfangsbestätigung vom guten Johann Wolfgang, nachdem seine Freunde
das ganze Paket an der großen Dichter geschickt hatten.
Frustrierend, oder nicht?
Nicht,
dass ich es selbst nicht auch erlebt hätte. Gerade andere Künstler
haben oft weder Zeit noch Lust, sich mit unbekannten "Fangeschenken"
zu beschäftigen, die entweder stümperhaft, oder, was noch viel
schlimmer wäre, sehr gut sind. (Im allerschlimmsten Fall wären sie
dann besser als die eigenen, aber das darf es in der Kunstwelt ja
eigentlich gar nicht geben :D )
Wie
dem auch sei, Schubert hat Goethes Mailadresse jedenfalls
unwiderbringlich von seiner Festplatte gelöscht und ihm nie wieder
etwas von sich geschickt. Und dabei soll Goethe doch einige Jahre
später eine Aufführung "seiner" Lieder gehört haben. Der
Legende zufolge meinte er daraufhin: So hätten sie ihm tatsächlich
auch gefallen. Aber da war der Zug bekannterweise bereits abgefahren.
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