Und Sonntags gehts zum Türken. Janitscharenmusik und Mozart in Gaza
Seitdem
der Herr Verratichnicht in mein Leben getreten ist, habe ich eine
zwischenzeitlich vernachlässigte Angewohnheit wieder aufgenommen: Türkisch
essen. Vor meinem Umzug nach Sachsen eine Selbstverständlichkeit, nachdem ich
sowohl in London als auch in Stuttgart in Gegenden gewohnt hatte, in denen es
von türkischen Supermärkten (und den dazugehörigen türkischstämmigen
Mitbürgern) nur so wimmelte. Sie (die Mitbürger, nicht die Supermärkte) machten
einen beachtlichen Teil meines Freundeskreises aus, mein ehemaliger Freund
(selbst Kurde) besaß sogar einen entsprechenden Laden, so dass ich damals lebte
wie die Made im Schlemmerland und mir auf meinem ersten Raubzug durch die
Dresdner Supermärkte die Gesichtszüge entgleisten. WO waren all die Sachen, die
ich mir täglich einverleibte? Wo waren die eingelegten Artischockenböden? Wo
gab es gute Bakklava? Warum kosteten die Spitzauberginen ein Vermögen? Und
warum bekam ich verwirrte Gesichter präsentiert, wenn ich nach Okraschoten
fragte? Wo, wo, wo waren die ganzen Türken?
Ein
halbes Jahr und 2 verlorene Kilo später hatte ich mich auf meine neue Umgebung
eingeschossen und häufelte nun eben Schanghai-Kohl und eingelegten Kimchi auf
meinen Teller. Kulturelle Anpassung nennt sich so etwas. Und ich begann, die
asiatischen Einflüsse auf meine Küche zu genießen, bis ich auf die perfekte
Verbindung stieß: Zusammen mit dem Herrn Verratichnicht durch den Geheimstädter
Stadtteil, der im Allgemeinen als „Korea“ bezeichnet wird zu schlendern. Der
wimmelt nämlich von türkischen Lebensmittelhändlern. Besser gehts nicht, oder?
Multikulti at its best!
Während
hier also immer noch jeden Montag protestiert wird, schleiche ich mich auf dem
Nachhauseweg am Mob vorbei und hoffe, dass mich niemand anspricht, denn ich
fürchte, meine Aussage im Sinne von „hoffentlich haben ganz viele Migranten
Erfahrung als Händler und machen haufenweise regionalspezifisch-orientalische
Lebensmittelläden auf!“ dürfte nicht unbedingt auf fruchtbaren Boden fallen.
Schade eigentlich, sonst hätte ich dort vielleicht Okraschoten züchten können.
Aber da ist wohl nichts mehr zu holen.
Musikalisch
macht sich so eine Zu-, Ab- oder Umwanderungsbewegung im Übrigen auch ganz gut.
Selbst dann, wenn sie nicht ganz freiwillig geschieht. Da brauchen wir gar
nicht so weit zurückzudenken, da reicht die Nachkriegszeit mit den überall
auftauchenden Kaugummis, den „Meckie“ genannten amerikanischen Militärfrisuren,
die der Heiße Scheiß bei der Jugend waren, dem Hype um Getränke wie Coca-Cola
und eben auch der amerikanischen Unterhaltungsmusik, die man nun endlich
überall spielen durfte. Da gab es zudem jahrelangen Nachholbedarf.
Und
hätte es keine Türkenkriege gegeben, gäbe es vielleicht noch nicht einmal das
Froeken selbst, denn ich entstamme einer Familie, die ihre Kinder (also meine
Vorfahren) mit dem Geld ernährte, das sie in der Hotel- und Gastronomiebranche
verdiente. Hauptsächlich mit einem großen wiener Kaffeehaus, das eben nur
deshalb existieren konnte, weil Wien eine unglaubliche Kaffeekultur besitzt.
Mit Sorten und Namen (Einspänner? Zarenkaffee (enthält Ei), Kosake mit Schlag?
Großer Schwarzer? Ist das überhaupt jugendfrei??), bei denen sich Starbucks
weinend verziehen kann. Klar, den Kaffee haben ja auch nicht die Amerikaner
nach Wien gebracht, auch wenn sie sich damit zunehmend breitmachen, sondern
eben die Türken, die die Stadt zwischen 1529 und 1683 zweimal belagerten und
(vergebens) versuchten, den Habsburgern zu zeigen, wo der Hammer,
beziehungsweise die (Mond-)Sichel hängt.
Versteht
mich nicht falsch, ich bin gegen jegliche Art von Gewalt. Ich glaube, ich habe
schon mehrmals erwähnt, dass ich beim Anblick von Salamibroten zu weinen
beginne, weil ich mir immer vorstelle, dass die Schweinemama ihren Kindern
erzählt, dass Papa nie wieder nach hause kommt und dass sie ganz tapfere kleine
Schweinchen sein müssen (und, ja, ich heule fast, wenn ich das nur tippe...),
also nochmals ganz kurz für alle: Krieg ist doof. Und das töten von Lebewesen
jeglicher Art (ja, auch Busfahrer, die einem vor der Nase wegfahren, obwohl sie
einen ganz genau gesehen haben) ist gemein. Aber wenn verschiedene Kulturen
aufeinander klatschen, dann kommt es zwangsläufig auch zu einem Austausch
unterschiedlichster Kulturgüter, sei es als Kriegsbeute oder auch als Dinge,
die man vor Ort sieht und ganz einfach schön findet. Die osmanische Kultur, die
sich oft unter dem Stichwort „Orientalismen“ in der Kunst, der Mode oder der
Musik ab dem 18. Jahrhundert an überraschend vielen Stellen wiederfindet (Ganz
ehrlich: Hand hoch, wer wusste, dass der Lappen, den sich das Model in Vermeers
„Mädchen mit dem Perlenohrring“ um den Kopf gewickelt hat, kein Handtuch zum
Haaretrocknen, sondern ein hochmodischer „Turban“ ist?), übte offensichtlich
eine gewaltige Faszination auf die Abendländer aus. Laut Gregor Maier, dem
Leiter des Kulturdezernats beim Hochtaunuskreis und des Kreisarchivs, verdanken
wir den Türken sogar die sonst als typisch deutsch angesehene Blasmusik. Wer
den Blogpost über die Guggenmusik gelesen hat, darf also eine neue mögliche
Wurzel für den Alpenradau hinzufügen. Die Türken sind schuld, die ihre Musik
dem Österreichischen Musiklexikon zufolge als Kriegstaktik einsetzten, um
mithilfe des Dauergedudels sämtliche Alarmglocken der Städte zu übertönen, und
somit unerwartet zuschlagen zu können. Auch eine Einsatzmöglichkeit im Sinne
von „Musik als Waffe“.
Besagtem
Gregor Maier zufolge entspringt also die Blasmusik der hochbeliebten türkischen
Militärmusik, auch Janitscharenmusik genannt (Yeñiçeri Ocaġı, die Leibwache des Sultans und Elitetruppe des
türkischen Militärs). Tuben und Posaunen hatten die Janitscharenmusiker zwar
nicht dabei, wenn sie mit Getöse durch die Straßen zogen, wohl aber jede Menge
Gerassel und Getrommel, welche in den entsprechenden Zusatzfunktionen der sich
damals großer Beliebtheit erfreuenden Janitscharenklaviere imitiert wurden: Ein
zusätzliches Pedal, das beim Durchtreten für Geräusche im Stil von
„umstürzender Geschirrschrank“ sorgte und besonders bei Mozarts „Türkischem
Marsch“ ein paar spaßige Effekte bringt.
Nun ist Mozart bei weitem nicht der Einzige, der den
Radau mit den vielen Becken und Perkussionsinstrumenten liebte, auch sein
großes Vorbild Josef Haydn nutzte in seiner 1794 komponierten 100. Symphonie (nicht ohne Grund als „Militärsinfonie“
bekannt), sowie in seiner Oper Armida die typisch türkisch klingende Musik,
Friedrich Witt nannte seine 6. Symphonie nicht umsonst „Turque“, Gluck
orientalisiert sich in „Die Pilger von Mekka“ quasi einen Wolf... die Liste ist
lang. Wer sich allerdings einen schnellen Eindruck darüber verschaffen will,
wie das Ganze son klingt, der wird in Mozarts „Entführung aus dem Serail“,
sowie im Rondo alla Turca schnell fündig.
Wie groß der Hype um die Janitscharen in Mozarts
Tagen gewesen sein muss, zeigt sich unter anderem daran, dass man, statt den
Wienerwald zu durchwandern (nein, nicht die Händlbraterei, das grüne Zeug mit
den Blättern meine ich), an den Wochenenden die Militärkapelle anhören ging, was
dann als „Türkische Musik“ bezeichnet wurde. Und der Dienstgrad der
entsprechenden Musiker lautete im preußischen Militär noch bis weit in die
erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein „Janitschar“.
Ziemlich militärisch geht es ja bis heute zu auf
diser Welt. Im Gazastreifen beispielsweise. Und genau dort dirigierte Daniel
Barenboim (wer auch sonst?) vor etwas über 6 Jahren auf Einladung der Vereinten
Nationen ein Konzert, das „ein Zeichen gegen die kulturelle Blockade setzen“ sollte,
und gab - genau! - Mozart. Einfach wird es nicht gewesen sein, so gab es bis
zuletzt Widerstand gegen das Konzert, später wurden die Musiker in einem
Militärkonvoi (und ich verkneife mir an dieser Stelle den Bezug zum
„Janitscharenzug“) unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen zum Konzert und
zurück gefahren, und Angaben von UN-Sicherheitsleuten zufolge waren während
des laufenden Konzertes Terrordrohungen einer salafitischen Extremistengruppe
eingegangen. Und auch wenn die Verteter der Hamas, die sich so gegen das
Konzert gewehrt hatten, leider draußen warten mussten: Man kann so einiges
zusammenbringen, alles ein bisschen wenigr be-fremdlich machen, wenn man sich
bemüht.
Ja,
guuuut, Barenboim, mag man durchaus argumentieren, der kann ja irgendwie gar
nichts fremdländisches mehr spielen, für
jemanden, der 4 Staatsangehörigkeiten besitzt und so ziemlich überall
sonst gearbeitet hat, ist ja alles irgendwie von „zu Hause“. Aber was hält uns
denn davon ab, unsere eigene Definition von „Heimat“ zu überdenken? Nun bin ausgerechnet
ich jemand, der nach jahrzehntelangem Umherziehen von Stadt zu Stadt und Land
zu Land (Kennt noch jemand ein paar freiberufliche Geisteswissenschaftler?
„Lasst uns schutteln die Hande“, wie Teefax sich ausdrücken würde) ganz froh
ist, einen einigermaßen sicheren festen Wohnsitz gefunden zu haben, den ich
„zuhause“ nennen und bei dem ich die Türe hinter mir zuwerfen und die große
böse Welt draußen lassen kann, aber so eine zweite Heimat ist doch eigentlich
nichts Schlechtes, oder? Da kennt man dann gleich ein paar Leute, weiß, welcher
Bäcker frische Simit im Angebot hat, und wo es guten Kaffee gibt. Und einen
Herrn Verratichnicht, der einem das Herz warm und trocken hält. Das einzige,
das das noch schlagen könnte, wäre eine dritte Heimat. Und eine vierte oder
fünfte. Oder die Neue Heimat, die hat man zu Zeiten sogar für eine D-Mark
kaufen können. Aber das hat nun wirklich nichts mehr mit Musik zu tun.
Noch ein
kleiner Tipp zum Abschluss: Den Kosaken mit Schlag (wahlweise Obers genannt)
bitte nicht probieren...ich weiß nicht, was sich der Barmensch, der das
erfunden hat, dabei gedacht hat, aber vermutlich hat er einfach alles
zusammengeschüttet, mit dem er sich gerade betrunken hatte, und die Sache mit
Kaffee aufgefüllt.
Und
falls er sich danach noch hingesetzt und Mozart gespielt hat, hat sich dasvermutlich so angehört. Ersetzt in Gedanken einfach die hinzukommenden Biere
durch Kaffee Zarenbrühe Suppe das entsprechende Heißgetränk.
Kaninchencontent :D
Wertes Froeken, als ausgewiesene Liebhaberin von Carl Michael Bellman wird Sie vielleicht mein neuestes Post in der Kammermusikkammer interessieren, mit interessantem Essay und wohlgeradenen Übersetzungen seiner Lieder, und Musikbeispielen. (Letztere leider nur englisch, von Martin Best. - Apropos: Kennen Sie deutschsprachige CDs von Bellman?)
AntwortenLöschenDanke für den Hinweis, da geh ich doch gleich mal gucken!
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