Rock me, Johann Sebastian - braucht man Bach, um Pop zu machen?
Es
geschah während eines Blockseminars an einem Wochenende: Eine
Teilnehmerin, die selbst in der Popbranche tätig ist, und ich
gerieten mitsamt Dozenten (die arme Socke, der hatte es sicher nicht
leicht mit uns) in eine Diskussion über die Frage, ob man Musiker
wie Bach getrost in die Tonne kloppen kann, wenn man nur vorhat, sich
mit Popularmusik zu beschäftigen, oder ob der Herr B. Auch in diesem
Fachbereich die Grundlage für alles ist.
Meine
Einstellung zu diesem Thema dürfte der geneigten Leserschaft
mittlerweile ja hinlänglich bekannt sein: Meiner Meinung nach kann
man vermutlich nicht einmal vernünftig husten oder schnarchen, wenn
man die Grundlage, also den Johann Sebastian, nicht verinnerlicht
hat. Meine Gesprächspartnerin sah das Ganze etwas anders und der
Herr Analyselektor (Amboss, der Analysator...für alle die, die die
Ottofilme noch kennen) saß zwischendrin, lauschte unserer
„Argumentation“ („Ohne Bach und Werckmeister hättet ihr nicht
mal alle Tonarten!“ „Hör auf, mich überzeugen zu wollen! Du
Bach-Groupie!“) und blickte irgendwann nur noch von einer zur
anderen. Verzweifelt. In schiss-Moll.
Natürlich
ließ ich es mir nicht nehmen, sobald ich die Haustüre hinter mir
geschlossen hatte, alles herauszukramen, was in den Bereich der
Popmusik fällt, aber auf meinem „Schwiegervater“ (wie J.S. Bach
mir gegenüber zuweilen bezeichnet wird, weil ich ja so für seinen
Ältesten schwärme) beruht, und die Ergebnisse schnellstmöglich,
mit zahlreichen hämisch grinsenden Smileys versehen, durch das
Internet in ihre Richtung zu jagen, aber mit dieser Fülle von
direkten Zitaten hätte ich dabei tatsächlich selbst nicht
gerechnet.
Was
dies betrifft, hätte ich viel eher auf Kontrapunkt, Fugato im Jazz,
Improvisationstechniken, typische Harmoniefolgen oder ähnliches
getippt, aber wie häufig man dem guten Mann doch tatsächlich mehr
oder weniger im Original begegnet, das hat mich selbst überrascht.
In diesem Beitrag hatte ich die Progressive-Rock-Band Vertreter
Ekseption je bereits erwähnt und eines ihrer Videos nebst Toccata
und Fuge in d-Moll BWV 565 verlinkt (jup, das war das mit den
geblümten Printleggins), dasselbe Stück fand allerdings auch
weiterhin Verwendung im Bereich der populären Musik:
2
Unlimited gehört jetzt so ungefähr zum letzten Kader, bei dem ich
erwartet hätte, etwas von Bach zu finden, und die Kostümierung
finde ich gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig (dieser Po gleich zu
Beginn.... * schüttel * … Leggins scheinen bei bachorgelnden
Männern offenbar große Mode zu sein. Der Herr Sagichnicht behauptet
zum Glück von sich selbst, kein großer Organist zu sein, daher wird
mir sein Anblick in glänzenden Gymnastikhosen vermutlich erspart
bleiben), aber den Bach hat er drauf, da kann man nichts sagen! Klick hier!
Wem
Ekseption und die beiden Grenzenlosen noch nicht reichen, der kannsich das Ganze auch (etwas langsamer) bei Sky anhören, auf der E-Gitarre bekommen wir es hier unter dem etwas
irreführenden Titel „Dracula-Theme“ vorgesetzt (da muss ich wohl den einen oder anderen Film verschlafen haben)
und, ich muss zugeben, die Gitarre „fegt“ (wie die Schweizer zu
sagen pflegen), allerdings gibt es auch eine ganze Menge weiterer
Stücke, die es in die Charts geschafft haben.
Bachs
„Jesu bleibet meine Freude“ ist sowohl Bestandteil von „LadyLynda“ der Beach Boys als auch von Apollo 100s Song „Joy“ (der nicht umsonst so heißt,
immerhin nennt sich die Kantate in der englischen Übersetzung „Jesu
Joy of man's desiring“), wobei die Apollo-Version definitiv mehr
rockt als die lahme Beach-Boys-Variante. Wer die beiden
Bach-Adaptionen im Kontrast hört, kann nachvollziehen, dass sich der
2. Leadsänger der Strandjungs, Brian Wilson, der Legende nach eines
Tages einfach ins Bett legte und ein gesamtes Jahr in den Federn
verbrachte. Wenn ich mir Lady Lynda anhöre, möchte ich jedenfalls
dasselbe tun. Schlaf gut, Brian.
Verwirrend
wird es, wenn es um die Menuette geht, insbesondere diejenigen, die
sich zwar in Anna Magdalena Bachs Notenbüchlein befinden, aber, wie
man heute zu wissen glaubt, nicht von Bach stammen. Wobei man, was
dieses Notenbuch betrifft, ohnehin feststellen muss, dass da nicht
der nette Sebastian allabendlich herumgesessen und seiner Ehefrau
Liebesbezeugungen in Form von
kleinen
Musikstücken geschrieben hat, so wie andere Männer (mein ehemaliger
Professor für historische Musikwissenschaft beispielsweise) ihrer
Frau abends Gedichte vorlesen oder andere Rituale pflegen, sondern
das Ding wohl von sämtlichen Familienmitgliedern genutzt wurde, um
schnelle Ideen zu notieren, bestimmte Kompositionstechniken zu üben,
das begonnene Stück eines Bruders, einer Schwester oder eines
Elternteils zu vervollständigen...die Urheberschaft innerhalb der
Bachfamilie zu klären, würde einen Gema-Inspektor vermutlich in den
Selbstmord treiben. Jedenfalls wird das Menuett in G-Dur , von dem hier die Rede
ist, nicht nur von den Toys verarbeitet (und dabei in einen vieltanzbareren 4/4-Takt gesetzt), was ich ja längst hier beschrieben hatte, sondern (wie ich selbst
erst vor ein paar Stunden erfahren musste) in einer deutschen Version endgültig zu Tode geprügelt:
Love is
all you need von den Beatles klingt nun wieder so gar nicht nach
Bach, nicht wahr? Obwohl ein Mann, der es geschafft hat, 20 Kinder in
die Welt zu setzen, das vielleicht sogar zu seinem Familienmotto
hätte machen können, nur leider hieß das ja schon Soli Deo
Gloria... jedenfalls scheint der Song zunächst meilenweit vom
Bachschen Repertoire entfernt zu sein. Hört man sich in dieser Aufnahme ab etwa 2.55 die Trompetenstimme aber etwas genauer an, so befindet man
sich ganz plötzlich hier, wobei es der Hörer bei einem Stück, das die Liebe besingt,
jedoch mit der Marseillaise beginnt, vermutlich aufgegeben hat, sich
zu wundern. Eingeworfen haben die Beatles zu diesem Zeitpunkt ja
ohnehin alles mögliche,da ist ihnen der eine oder andere Johann
Sebastian zwischen all den Rosa Elefanten und bunten Farben
vermutlich gar nicht mehr aufgefallen.
Der
absolute Hammer unter den Bachstücken scheint jedoch das Air auf der
G-Saite (aus der 3. Orchestersuite BWV 1068) zu sein.... in diesem Fall hätte ich
zwar nicht eine gute und eine schlechte Nachricht parat, wohl aber
die eine oder andere gute und schlechte Adaption. Da man ja
bekanntlich aufhören soll, wenn es am schönsten, und nicht, wenn es
am unerträglichsten ist, beginne ich diesen Reigen
mit...(Trommelwirbel)... Helmut Lotti, den ich zuvor
(glücklicherweise) gar nicht kannte. Mann, waren das noch Zeiten.
Jetzt bin ich sozusagen verdorben und werde mir das Air niemals
wieder anhören können, ohne diese Bilder und Töne im Kopf zu
haben: Jeder soll singen, was er will, aber in diesem Fall, da bin ich mir
sicher, hätte Johann Sebastian dem Herrn Lotti die Schnüss poliert.
Und, ganz ehrlich, ich hätte vermutlich applaudiert.
Den
meisten von uns dürfte die folgende Version bekannt sein, die es im
Jahre 1997 in die Top Ten in Österreich, Belgien, British Columbia,
Finnland, Frankreich, Irland, Norwegen und was-weiß-ich wo noch
alles schafften: Sweetbox, „Everything's gonna be alright“. Netterweise wird J.S. Bach hier übrigens als Komponist gelistet.Immerhin etwas, wenn er schon keine Tantiemen dafür einstecken
konnte.
Etwas
älter, aber nicht minder bekannt dürfte wohl „A whiter Shade of
Pale“ von Procol Harum sein, der zunächst 1967 erschien und danach
selbst unzählige Male gecovered wurde.
Gehen
wir jedoch an den Anfang der weißeren Blässe zurück, so bemerken
wir einen weiteren Umweg, den die Musik genommen hat: Procol Harum
wurden nämlich gar nicht direkt von Bach inspiriert, sondern
vielmehr von ihrem Kollegen Percy Sledge, der das Air ebenfalls
verbraten hatte, allerdings weitaus weniger auffällig: „When a Manloves a Woman“ basiert nämlich ebenfalls auf der Akkordfolge
dieses Stückes. Als Procol Harum dies hörten, dachten sie sich wohl
„Geil, das machen wir auch, aber wir haben eine Hammond-Orgel, also
machen wir es richtig!“ und legten los.
Zusätzlich
zum Air verarbeiten sie in diesem Stück übrigens auch noch den
Eingangschor aus „Wachet auf ruft uns die Stimme“, aber das würde
jetzt zu weit führen.
Der
Song wurde ein Riesenhit, Bach konnte sich keinen Blumentopf dafür
kaufen, und das Stück wurde unzählige Male gecovered, unter anderem
im Jahre 1985 von der wunderbaren Annie Lennox,
einer der ganz großen Damen im Popgeschäft, wobei ich aber doch
anmerken muss, dass mir die Kostümierungen ein Rätsel sind: Annies
Pierrotklamotte entstammt einer Zeit, die Bach zwar nicht mehr
bewusst erlebt haben dürfte, aber noch stark in die Denkweise seiner
Zeit hineinspielte: Die Pierrotfigur gehört zum Standardrepertoire
der im 16. Jahrhundert entstandenen Commedia Dell' Arte, kam
allerdings erst relativ spät hinzu und schaffte es (im Gegenzug zu
Dottore oder der Colombina) irgendwie, sich samt Maske in die heutige
Zeit hinüberzuretten. Die Fozzy-Bär Kostümierung der
Instrumentalisten im Hintergrund entstammt wohl eher der
Muppet-Show, aber hey, es waren die 80er und da war irgendwie alles
erlaubt, solange es Tiefgang suggerierte.
Jedenfalls
hätten wir auch hier wieder ein Beispiel für einen Bachcoversong,
der seine ganz eigene Entwicklung durchmacht. Vielleicht liegt es
auch daran, dass die Hammondorgel-Zeit mittlerweile als der
Elterngeneration zugehörig empfunden wurde und somit der
Vergangenheit angehörte, aber deren deutliche Zurücknahme zugunsten
der Basses ist nicht zu überhören.
Beinahe
keine Rolle mehr spielt sie zumindest als Intro in dieser Versionvon Joe Cocker, was der Theorie widerspricht, das Orgelintro sei prägend für den
Song gewesen. Aber dafür hat er 3 Damen mit Katzengesang und
schimmernden Gymnastikleggins auf die Bühne, und das ist ja immerhin
auch nicht zu unterschätzen.
Die
norwegische Band Titanic wiederum schnappte sich ihrerseits „A
whiter Shade of Pale“ und verarbeitete diesen selbst aus einer
Verarbeitung eines verarbeiteten Originals entstandenen Song weiter
zu einem ihrer bekanntesten Stücke: „I see no Reason“.
Auf diese Weise reist unser Bach-Air mal eben um die Welt und durch
die Zeit...vielleicht war das ja gar keine Orgel, die Bach in Halle
damals abgenommen hat, sondern eine Art Tardis, deren
Chamäleonmechanismus damals noch funktionierte und die Form eines
Tasteninstrumentes annahm, man weiß es nicht. Rein von der Bedienung
her scheinen mir die neiden Geräte ja nicht unähnlich zu sein...
Bach der TimeLord? Eine Vorstellung, die ich persönlich sogar ganz
schön finde: Dann st er vielleicht gar nicht gestorben, sondern
sitzt gerade irgendwo zuhause auf Gallifrey, trinkt sein Schälchen
Heesn und ersinnt neue Melodien, die er nachts heimlich irgendwelchen
Musikern ins Ohr flüstert, die am nächsten Morgen erwachen und
denken „Hey, hab ich heute Nacht von einem coolen Song geträumt!
Den muss ich gleich mal aufschreiben, noch bevor ich mir Kaffee
mache....“
Leute... ernsthaft.... Schnee? Jetzt noch? Das kann doch wohl nicht wahr sein...
meine armen Schlüsselblumen!
So sieht es übrigens aus, wenn ich Bilder mache... die Softboxen schummeln so viel Tageslicht in den dunklen Alltag, dass ich sie hinterher zuweilen noch ein bisschen anlasse und mich sommerlich fühle.
Und wenn es draußen schon lauter blöden Schnee hat, dann gibt es drinnen wenigstens Tee und Porridge mit Obst!
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