Wie von der Tarantel gestochen - magische Tänze und Heilgesang
Inzwischen ist es schon wieder
einige Jahre her, da lebte einmal ein Fröken im schönen Bayern,
hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen, irgendwo zwischen
Wedding, Kissing und Petting (ja, diese Orte gibt es nicht nur
wirklich, sie lagen auch tatsächlich auf dem Weg) und ließ sich
gesundpflegen. In Bayern steht nämlich nicht nur ein Hofbräuhaus,
da gibt es auch eine Rehaklinik, und in eben dieser begab ich mich
unter anderem allwöchentlich zur Tanztherapie. Die geführten
Bewegungen zur Musik sollten uns zwar vornehmlich wieder beweglicher
machen, aber auch ein Gefühl für den eigenen Körper vermitteln,
das über das bloße Wissen, wie weit man seinen Arm verrenken kann,
ehe es irreparabel knackt, hinausgeht. Wer tanzt, geht nicht nur an
die Grenzen der Beweglichkeit, er muss auch lernen, seinem Körper zu
vertrauen und ein klein wenig von seiner Selbstkontrolle aufzugeben.
Zumindest, solange er die Musik spüren und sich intuitiv dazu
bewegen soll. Im klassischen Tanz ist es natürlich Essig mit der
Aufgabe irgendwelcher Körperkontrolle. Wer sich da bewegt, wie er
gerade lustig ist, schubst möglicherweise sämtliche kleinen
Schwänchen von der Bühne oder vergisst, die Arme zum Fangen
auszustrecken, wenn sich die Partnerin vertrauensvoll durch die Luft
fallen lässt, was vermutlich bedeutet, dass er sich seine
Vertragsverlängerung sonstwohin schieben und in der nächsten
Spielzeit kellnern gehen kann. Aber das ist eine andere Geschichte
und soll ein andermal erzählt werden, wie Michael Ende sagen würde.
Und zum Thema Improvisation habe ich mich bereits hier geäußert.
Dass Musik und Genesung unmittelbar
zusammenhängen, ist nicht unbedingt etwas Neues, und dass Tanzen als
Körpererfahrung auch und gerade bei psychischen Erkrankungen und
Körperwahrnehmnungsstörungen eine wunderbare Sache sein kann, zeigt
nicht nur die Tatsache, dass unsere Tanztherapiegruppe zu über 50%
aus Patienten mit Essstörungen bestand; jeder Mensch, der sich
Freitagsabends zappelnd über die Tanzflächen der Innenstädte
bewegt, um sich einmal so richtig auszutoben, reinigt vermutlich auch ein Stück weit
seine Seele.
Die Heilkraft der Musik findet sich
in der Bibel, wenn David seine Harfe spielte, bis sich Saul, der sich
mit seiner Aufgabe als König Israels (eigentlich war er ja nur als
Fürst vorgesehen worden) zunehmend überfordert sah und unter
depressiven Verstimmungen und Heimsuchungen (neueren Forschungen zufolge vielleicht auch unter epileptischen Anfällen) zu leiden hatte, wieder
beruhigt hatte und wieder Licht sah im Dunkel seiner Seele. Auch
getanzt wurde gerne im Hause Davids, was allerdings (vielleicht aufgrund der Nähe zu Trancetänzen, wie wir sie aus dem Derwischbereich kennen) nicht immer besonders gut ausging. Und dass wir unsere heutige
überlieferte Kunstmusik den Tempelgesängen alter Kulturen
verdanken, zeigt den Zusammenhang zwischen Musik und Mystik, Klang
und Seele.
Wer sich mit den Lehren der Veden
beschäftigt, wird Mantragesänge kennengelernt haben, die
bekannteste Silbe der tibetischen Meditation (Om) hat ebenfalls die
Aufgabe, die Schwingungen im Körper mittels Eigenschwingung
auszugleichen und den Meditierenden wieder ins Gleichgewicht und mit
der Welt ins Reine zu bringen. Tanz und Kultur, Tanz und Religion,
Tanz und Magie?
Vermutlich hat jede Kultur rituelle
Tänze in irgendeiner Form im Repertoire, ob es sich nun um
Regentänze handelt, um Hochzeitsreigen, Mai- oder auch Kriegstänze.
Tänze helfen bei der Anrufung der Götter, halten eine Gruppe
zusammen, helfen bei der Meditation und versetzen die besagten Derwische in
religiöse Trance.
Geht man davon aus, dass Krankheiten
in vielen Glaubensrichtungen auf die schlechte Laune grundsätzlich
nicht sonderlich freundlich eingestellter Racheengel, Dämonen oder
ähnlicher Wesen, denen man nicht im Dunkeln begegnen möchte,
zurückzuführen sind, lässt sich der Glaube, mit Hilfe ein paar
hübscher Tanzfiguren oder auch gesungener magischer Formeln etwas
ausrichten und den Geist wieder fröhlicher stimmen zu können,
durchaus nachvollziehen. Und dazu muss man nicht einmal
fremdländische oder untergegangene Kulturen betrachten, das geht
auch von zuhause aus: Der altbekannte "Heile-, Heilesegen"
ist ein in unseren Breiten recht verbreitetes Beispiel für eine
derartige Beschwörungsformel, die uns zu Denken geben sollte: Die
meisten von uns, die über die Idee, Krankheiten unter Zuhilfenahme
einer Zaubermelodie quasi wegzusingen, eigentlich nur lachen können,
saßen schon einmal flennend bei ihren Großeltern auf dem Schoß, um
sich durch eben diese Sangesformel von ihren Schmerzen befreien zu
lassen. Und -mal ehrlich - es hat geholfen, oder? Spätestens nach 3
Tagen Regen und Schnee tat das aufgeschürfte Knie nicht mehr ganz so
weh. Musik ist also quasi Magie für den Hausgebrauch. Sie hilft
gegen Schmerzen, gegen Angst (singen im Dunkeln macht Mut), heitert
uns auf und hilft sogar gegen Liebeskummer. Zumindest in Verbindung
mit einer Tafel Schokolade und einer Flasche Wein. Immerhin leiten
sich ja auch beide Begriffe von übermächtigen Zauberwesen ab (Muse
und Magus nämlich) und tauchen in vielen Märchen gemeinsam auf:
Irische und Walisische Feensagen sind so eine Sache: Feen scheinen
eine Menge Zeit zu haben, immerhin treffen sie sich regelmäßig, um
auf Waldlichtungen zu tanzen. Macbeths Hexen singen wild fuchtelnd
ihre Verse, während sie Kinderfinger und ähnliche Leckereien in
ihrem Kochtopf zusammenrühren, sogar Rumpelstilzchen versucht, das
Geheimnis seines Namens mittels eines Tanzes um sein Lagerfeuer zu
schützen. Wenn auch nicht gerade sonderlich erfolgreich, aber der
Typ ist ja ohnehin ein Fall für sich...lässt die schöne
Müllerstochter links liegen und holt sich dafür ihr Neugeborenes
ins Haus. Was auch immer er damit anzustellen plant.
Ein
bisschen eigenartig ist ja auch die Vorstellung des griechischen
Arztes Asklepiades (* um 124 v. Chr. -etwa 60 v.Chr.),
die Natur sei so ziemlich das Schädlichste, was man seinem Körper
zumuten könne. Allerdings hatte der gute Herr auch ein paar
sinnvolle Ideen auf Lager und begründete unter anderem den
Luftröhrenschnitt, der schon so manches Leben rettete. Bei
Geisteskrankheit hatte Asklepiades gleich zwei Mittel zur Hand:
Erstens Wasser (Das kann ich nachvollziehen, manchmal möchte man
sich abends einfach nur unter die Dusche stellen und alles, was
Stress bedeutet, wegduschen)und zweitens Musik. Hätte es damals
schon diese spritzwassergeschützten Duschradios gegeben, die man im
Badezimmer an die Wand hängen kann, hätte er sicher ein Vermögen
mit Merchandising machen können.
Die
Krönung der musikalischen Hausapotheke ist übrigens der
Taranteltanz. Das
Mittel der Wahl gegen die Volkskrankheit des Mittelalters. Tanzwut
oder auch Tanzwahn war eine Art hysterisches Gliederzucken, das
Menschen dazu brachte, wie angeschossen herumzutanzen, bis sie Schaum
vor dem Mund, Rauch aus den Ohren und zehn paar durchtanzte Schuhe
hatten und irgendwann bewusstlos zu Boden sanken. Woher die Sache
kam, war und ist bis heute nicht vollständig geklärt. Vermutungen
reichen von rituellen Zusammenkünften irgendwelcher
Sektenmitglieder, die sich sonstwas hinter die Binde gossen und nach
Art der Derwische in eine Art Trancetanz verfielen, um Gott, dem
Universum oder auch dem fliegenden Spaghettimonster nahe zu sein, über Krankheiten wie Chorea Minor oder ihre große Schwester Chorea Major, die auch unter den Namen Huntington oder Veitstanz bekannt ist ("Chorea" bedeutet übrigens ganz schlicht und einfach "Tanz", was auf die Muskelfunktionsstörungen mit ihren unkontrollierbaren Bewegungen zurückzuführen ist), bis
hin zu einer ganz anderen Ursache: Die Tänzer sprangen nicht nur
herum, wie von der Tarantel gestochen, sie waren es auch. Zumindest
wurde die Apulische Tarantel (fragt mich bitte nicht, ob nun der Ort
Tarent nach den dort zahlreich vorkommenden apulischen Wolfsspinnen
oder die Spinnen nach ihrem Heimatort benannt wurden, jedenfalls gab
es die possierlichen Tierchen dort wohl zuhauf) für die seltsame
Tanzeritis (passenderweise Tarantismus genannt) verantwortlich
gemacht. Tatsächlich ist die apulische Tarantel ganz einfach nur
ziemlich groß und für den Geschmack des typischen Europäers
vermutlich auch entsprechend hässlich, weswegen man ihr wenn möglich
aus dem Weg ging und sie der Vorsicht halber auch als ziemlich
gefährlich verschrie. Zudem sind die kleinen Achtbeiner tagaktiv, so
dass man sie auf Spaziergängen über Feld und Wiesen herumkrabbeln
sieht. Ein typischer Fall von falscher Zeit, falschem Ort und
falscher Körpergröße also, denn der tatsächliche Verursacher
hysterischer Gliederzuckungen, die Europäische Schwarze Witwe
nämlich, stürzt sich lieber ins Nachtleben und schläft tagsüber
friedlich unter Steinen. Nachdem das Gift der schwarzen Witwe auch
noch bis zu 2 Tagen brauchen kann, um den Körper zu wildem Gezappel
(neurologischen Entladungen) zu animieren, Schaum vor dem Mund
(Magenkrämpfe) und allgemeinen Wirrwarr (Migräneanfälle) zu
produzieren, und die Witwe mit einer Körpergröße von etwa einem
halben Zentimeter (ohne Beine) ein vergleichsweise winziges Spinnchen
ist, war der Zusammenhang vielen Betroffenen längst nicht mehr klar,
wenn sie zu twisten begannen. So wurde am Ende vermutlich häufiger
der Exorzist gerufen, als der Serologe. Und der Tanz, der der ganzen
Geschichte entgegenwirken sollte (hier wurde also quasi
kontragezappelt), hatte seinen Namen weg: Tarantella. Kleine
Tarantel. Eine Tanztherapie der besonderen Art, im 3- oder 6/8 Takt, teilweise unter Zuhilfenahme verschiedentlicher symbolträchtiger Gegenstände, wie Schwerter oder Spieße, die wohl auf den Stachel, beziehungsweise die Beißwerkzeuge der zu unrecht verdächtigten Wolfsspinne verweisen sollten. Ob sie geholfen hat, darüber lässt sich vermutlich
streiten. Nachdem Schwitzkuren zu den verbreitetsten Methoden
gehörten, Gifte aus dem Körper zu bekommen, und die Tarantella ein
Tanz ist, der sich durch Geschwindigkeit und einen starken Rhythmus
auszeichnet, den Tänzer also definitiv ins Schwitzen bringt, mag
sich ein gewisser Effekt eingestellt haben, immerhin empfahl die
spanische Ärztekammer die Tarantella noch bis weit in das 18.
Jahrhundert hinein als sinnvolles Heilmittel gegen Spinnenbiss und
Wahnideen. Vielleicht war es auch ganz einfach erleichternd, einmal
so richtig die Sau rauslassen zu dürfen, heutzutage macht man statt
der Tarantella vielleicht lieber eine Urschreitherapie oder geht
einmal in der Woche nach Bayern in die Klinik, um sich mit anderen Patienten um
die eigene Achse zu drehen und wieder zu lernen, sich fallen zu
lassen, mit dem „Flow“ zu gehen und seinem Körper wieder zu
vertrauen. Und weil innerhalb einer solchen Gruppe quasi alle den
einen oder anderen Sturmschaden im Gebälk haben, guckt einen auch
niemand komisch an, wenn man lachend durch den Raum springt. Da hat
nämlich jeder mit sich selbst zu kämpfen.
Wenn ich mir dabei allerdings
überlege, wie viele Menschen ich kenne, die ganz offensichtlich vom
wilden Affen gebissen wurden, sollte man vielleicht auch über die
Einführung einer Schimpansella nachdenken. Oder einer Hanutella für
alle die, die ganz einfach nur einen an der Waffel haben.
On the road again... an manchen Wochenenden verbringt man mehr Zeit unterwegs, als am jeweiligen Zielort
Mal wieder im Gloria, mit grünem Tee, Jule und dem Bachdenkmal vor dem Fenster.
Vielleicht sollte der nette Herr Bach auch ein bisschen tanzen und Dampf ablassen, anstatt sich mit den Herren Görner oder Ernesti herumzustreiten. Wer sich übrigens fragt, wer dieser Veit war, nachdem die ganze Hopserei benannt wurde: Im Gegensatz zu Friedelind aus dem Wagner-Post hatte der Heilige Veit keine übergriffige Mutter, sondern einen ebensolchen Vater, der ihn mitsamt einer ganzen Reihe junger Mädchen in ein Zimmer sperrte, um ihn von den Damen mittels Musik und wildem Tanz zu noch viel wilderen Dingen verführen und damit vom Glauben abbringen zu lassen. Da der Vater nicht nur ein großer Einmischer, sondern auch ein entsprechender Kontrollfreak war, guckte er heimlich durch das Schlüsselloch, um zu prüfen, ob die Sache funktionierte, und erblindete dabei (tja, den Schlüssel sollte man vorher vielleicht aus dem Schloss ziehen, ehe man sein Auge ans Loch hält). Veit war übrigens ein braver Junge, verzieh seinem Vater und betete für dessen Genesung, die dann auch prompt erfolgte. Daher also der Veitstanz.
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