Echtes deutsches Operngut? Oder: Erst denken, dann fordern.
Vor nicht allzu langer Zeit
flatterte mir das Ergebnis einer Umfrage ins Haus, die sich auf den
Musikgeschmack und die Rezeptionsgewohnheiten in Deutschland bezog.
Ausgewählt wurden unter anderem die zehn beliebtesten Opern, die
mich dann doch ein Stück weit zum Nachdenken anregten: Wenn das sie
Stücke waren, die den Opernhäusern ein annähernd gefülltes Haus
garantierten, dann konnte die AfD einpacken mit ihrer, was die
Kunstfreiheit betrifft, ohnehin recht fragwürdigen Idee, die Werte
des Volkes zu sichern, indem verstärkt Stücke deutscher
Komponisten gespielt werden sollten. Es ist nämlich nicht so, dass
es davon in besagter Liste von deutschen, bzw. deutschsprachigen
Opern nur so gewimmelt hätte: Ein einziges deutsches Werk befand
sich unter den genannten: Die allseits beliebte und bekannte
Zauberflöte nämlich.
Die könnte man nun also quasi als
Standardmusikwerk in jedem deutschen Opernhaus auf die Bühne
bringen, nicht wahr? Oder nicht? Was sagen denn unsere ach so
besorgten opernhörenden Mitbürger zu der ganzen Geschichte? Sehen
wir uns doch die Handlung ein wenig genauer an und entscheiden wir
dann gemeinsam, ob der übrigens in Wien geschriebene Singsang (jup,
Wien konnte man selbst zu Mozarts Zeiten beim besten Willen nicht zu
Deutschland zählen. Mit seinem Geburtsort Salzburg war es da eine
andere Sache, das lag im 18. Jahrhundert tatsächlich nicht in
Österreich, aber die Zauberflöte selbst ist eigentlich recht
uneindeutig,was die Herkunft betrifft, zumal es ja auch noch einen
Librettisten gibt, aber um den soll es an dieser Stelle gar nicht
gehen), die Werte transportiert, die die AfD so gerne in unser aller
Köpfen hätte? Mal ganz abgesehen davon, dass wir uns dabei
vielleicht zunächst einmal überlegen sollten, worin genau diese
„Werte“ eigentlich bestehen. Ich persönlich setze mich
jedenfalls für ganz andere Dinge ein, als, sagen wir mal, mein
Bruder. Und dass wir dieselbe Abstammung haben und somit auch
demselben Kulturkreis angehören, ist unbestritten.
Worum geht es also? Um eine
Dreikindfamilie mit einer brav am Herd stehenden Mutter jedenfalls
nicht, oder? Tatsächlich passiert hier Folgendes: Ein ausländischer
junger Mann (seine Herkunft wird nicht weiter erörtert, nur als
„fern“ beschrieben, wir können uns ja vermutlich schon denken,
wo das ist) reist ins Land und versucht, mit der Hilfe des Anführers
einer Gruppe übermächtiger religiöser Fanatiker einer
rechtschaffenen Mutter ihre hübsche und unschuldige Tochter
wegzunehmen. Was ihm, nachdem sie ein Trainingscamp bei der Sekte mit
Feuer-, Wasser- und sonstwas für Übungen hinter sich gebracht
haben, auch gelingt. Na toll. Vergesst Mozart war ein Filmtitel, der
sich an dieser Stelle wohl recht gut machen würde. Halten wir ihn
uns aber mal ein bisschen warm, man weiß ja nie, ob man mangels
anderer Werkmeister irgendwann doch noch auf ihn zurückgreifen muss.
Ebenso urdeutsch wie unser Wolfgang
wäre dann vielleicht der Herr mit der Sturmwindfrisur und dem
Hörgerät. Und der Herr Beethoven hat auch tatsächlich eine Oper im
Repertoire: Fidelio nämlich. Und darin wird sogar gerettet. Mensch
und Wertvorstellung. Klingt soweit also schon einmal nicht schlecht.
Kommen
wir nun aber mal schnell zum Haken an der Sache: Bei
Fidelio handelt es sich um eine sogenannte Schreckens- oder auch
Befreiungsoper. Diese Art Opern entstand im spät- bis
nachrevolutionären Frankreich, das in den Wirrungen der politischen
Chaostage zu versinken drohte. Tatsächlich wäre das einmal eine
Nummer für die typischen Pegida-Wähler: Leute, die sich von der
Politik
veräppelt und betrogen fühlen und versuchen, irgendwie zu ihrem
Recht zu kommen. Und wenn es mit Mord und Gewalt ist. Allerdings
haben wir hier das kleine Problem der Tatsache, dass Pegida zu diesem
Zeitpunkt die Politiker des Landes zu stellen gedenkt und sich damit
entweder selbst zum Feind macht (denn die politischen Führer sind ja
gerade die Bösen der Geschichte), oder aber eine Art
“Nachrevolutionsfeeling” verbreiten muss – das Volk hat es
durch das allmontägliche Gebrüll geschafft, sich zu befreien und
stellt nun quasi auf der Opernbühne die vorrevolutionäre
Unterdrückungssituation nach. So etwas funktioniert ganz wunderbar,
wenn es sich bei dem nachrevolutionären System um ein
sozialistisches oder sogar kommunistisches handelt. Dann kann sich
die Bevölkerung rühmen, die Ständeklauseln über den Haufen
geworfen und als Volk über den einzelnen bösen Herrscher gesiegt zu
haben. Derartige
Opern gibt es viele, sie wurden -nachem sie die Zensur erst einmal
durchlaufen hatten- auch zuhauf von der sowietischen Regierung
unterstützt, machen beispielsweise die Schostakowitschrezeption
heute noch zu einem ethischen Problem, entsprechen aber nicht ganz
dem politischen System, das man von
Seiten unserer besorgten Mitbürger einzuführen
gedenkt. Staatliche Kontrolle soll es gerne geben, aber bei einer
Partei, die die Arbeitslosenunterstützung abschaffen möchte, um den
Wettbewerb zu stärken (Sozialdarwinismus at its finest sozusagen),
sind wettbewerbsfremde sozialistische Denktendenzen vermutlich
eher unerwünscht. Also weg
damit.
Deutscher
als Mozart oder Händel geht es vermutlich nicht, wenn wir den Herrn
Wagner mal ausnehmen. Aber politische Führer, die sich auf
Wagneropern eingeschossen hatten und bei dessen Familie unter
Kosenamen wie “Onkel Wolf” ein- und ausgingen hatten wir bereits.
Und nachdem Winifred Wagner noch bis ins hohe Alter erklärte, sie
würde sich noch immer freuen, den Herrn H. wiederzusehen, wären
Wagneropern vermutlich tatsächlich eine Alternative, schließlich
passen der Onkel Wolf und der Onkel Lutz rein ideologisch gesehen
ganz gut zusammen. Verzichtet man allerdings auf Wagner, tut man
sich schwer damit, ausreichend deutsches Opernmaterial zu finden, um
die Spielpläne unserer Opernhäuser zu füllen. Mozart schrieb
überraschend wenig auf deutsch, der hamburger Händel gar nichts.
Wie wollen wir die guten deutschen * hust, hust * Werte vermitteln, wenn
wir dazu italienischen Frauen beim Männerverführen im Vorgarten
zusehen müssen? Und dazu auch noch fließend italienisch verstehen,
wennschon nicht sprechen müssten, um der Handlung überhaupt folgen
zu können? In einer Zeit, in der ausländische Starpianisten, die
ein Stück von Weltruhm ankündigen, von Seiten des Publikums mit dem
Ausruf “Sprich deutsch!” bedacht werden? Bei Händels Alcina
holt wenigstens eine gute Hausfrau ihren abtrünnigen Mann von einer
-nennen wir es ruhig beim Namen- Bordellinsel nach Hause zurück, was
man noch als tugendhaft und wertebildend verbuchen könnte, aber
erstens ist die gute Dame Bramante leider Italienerin, zweitens
spricht und singt jeder in dieser Oper italienisch und drittens geht
der Hauptteil der deutschen Männer, eben weil er kein Wort versteht,
vermutlich nur deshalb überhaupt mit in diese Oper, um sich die
zumeist halbnackt dargestellte Verführerin Alcina anzusehen und
deren Verführungsspielchen dann zuhause nachzustellen, denn immerhin
ist er mitgegangen, die Dame des Hauses ist ihm also noch einen
Gefallen schudig. Dann vielleicht doch lieber Mozart, der sich mit
der Entführung aus dem Serail schon deshalb besonders eignet, weil
er sich erstens über die Türken lustig macht, was ja heutzutage
offensichtlich der Volksbelustigung dient und zweitens auch noch die
guten Christen gegen die bösen Moslems ausspielt, wobei der Versuch,
sich hier ein paar böser Klischees zu bedienen, schon
deshalb hakt, weil sich der türkische junge Mann zwar die
ausländische Frau schnappen will, sie dabei jedoch keineswegs
bedrängt (im Gegenteil, sie ist ja diejenige, die sich, nachdem er sie aus den Händen einer Schlepper- und Sklaventreiberbande gekauft hat, in der Fremde befindet, dort auf seine Kosten lebt und sich nicht einzugliedern gedenkt) und sich , und im Willen, sich anzupassen, sogar soweit geht, zum
Christentum zu konvertieren. Mist.
Desweiteren
lässt sich der türkische Herrscher nicht so einfach veräppeln,
nimmt die deutschen hops und stellt sie vor ein Gericht, was mal
wieder einer tatsächlichen Begebenheit ähnelt, an die wir
vielleicht besser nicht erinnert werden wollen. Am Ende kommen noch
ein paar Zuschauer auf die Idee, sich die Sache zum Vorbild zu nehmen
und Böhmermann zur Flucht zu überreden, was wohl endgültig einer
nationalen Katastrophe gleichkäme. Streichen wir also die Entführung
und damit eine der wenigen Opern Mozarts, die wir noch auf deutsch
anzubieten hätten.
Eine
geradezu wunderbare Musik, die einzig dazu diente, türkische
Herrscher zu verhohnepipeln, schaffte der gute Herr Lully am Hof in
Frankreich. Seine Zusammenarbeit mit Molière, “Le bourgeois
gentilhomme” (Der Bürger als Edelmann), war auf den türkischen
Botschafter gemünzt, den, nennen wir es beim Namen, am französischen
Hof kein Mensch leiden konnte. Es klappt also doch: Man kann
türkische Politiker veräppeln ohne sich dabei in Gefahr zu begeben.
Allerings taucht hier mal wieder ein altbekanntes Problem auf: Lully
war...na, was wohl? Genau! Italiener! Auch wenn er später seine
Staatsbürgerschaft wechseln und Franzose werden
sollte, er war ein Einwanderer. Und noch
dazu kein sonderlich beliebter. Außerdem war der Mann hauptberuflich
Ballerina, also nicht gerade das Lieblingsvorbild eines
biertrinkenden Fußballguckenden Klischeedeutschen, für den ein Tutu
als Freizeitkleidung nicht wirklich infrage kommt.
Ja,
ich denke, spreche und schreibe hier in Klischees. Und Klischees
entsprechen nicht der Wirklichkeit, zumindest dann nicht, wenn man
ein Volk als eine Zusammenstellung von Individuen betrachtet, die
alle eigene Werte, eigene Ideen und eigene Geschmäcker haben. Sie
sind also nicht alle schlecht, was im Umkehrschluss aber auch
bedeuten würde, dass es die abendländischen Werte per se gar nicht
geben könnte, man sie also auch nicht verteidigen kann oder muss.
Nimmt man hingegen wertfrei und blind irgendwelche typischen Elemente
unserer Kultur heraus und packt diese zusammen, so ergibt sich unter
Umständen ein Volk von Leuten, die die wichtigste Fastenzeit ihrer
Kultur damit verbringen, exzessiv Glühwein zu konsumieren, am
größten christlichen Fest in Goldpapier verpackte Hasenstatuetten
suchen, ernsthaft daran zu glauben scheinen, dass das Zusammendrücken
von Daumen und Zeigefinger dazu beiträgt, dass der Junior in der
Schule eine gute Mathearbeit schreibt und die Steuergelder, die sie
so enthusiastisch verteidigen, dafür ausgeben, dass Horden an
Polizisten, Sanitätern und Sicherheitskräften die Innenstädte
absichern müssen, wenn sich einmal wieder zwei Ballsportvereine ein
Spielchen liefern. Das alles definiert uns zwar nicht, gehört aber
definitiv mit zu unserer Kultur. Aber wollen wir das auf der Bühne
haben?
Noch
einmal: Ich bin nicht antideutsch eingestellt. Aber eben auch nicht
antijemandanders. Ich mag auch deutsche Männer. Aber eben auch
französische, italienische oder afrikanische Musiker. Und: Ja, ich
weiß, nicht alle deutschen Männer trinken Bier. Manche trinken auch
Orangensaft und machen pliès, rombes des jambes und pas des chats
zur Stärkung der Beinmuskulatur. Und wer Bier trinkt ist dadurch
auch noch lange kein Gorillamann, er hat nur eine Vorstellung von
„lecker“, die ich nicht teile. Der Herr Sagchnicht trinkt auch
Bier und ich mag ihn trotzdem. Wer sich jedoch trotz Allem
angegriffen fühlt, darf sich gerne in den Kommentaren beschweren,
nur kommt bitte nicht auf die Idee, diesen Post irgendwie unter
„Satire“ einzuordnen, diese Gattungsbezeichnung fängt nämlich
an, mir ganz gewaltig auf den Senkel zu gehen.
Was
bleibt nun dem Opernliebhaber? Außer Wagner?
Schönberg? Eine deutsche Oper hätte er ja im Gepäck, Moses
und Aaron nämlich,
allerdings geht es ja auch darin wieder um eine Religion mit der uns
eine schwierige Geschichte verbindet. Schönberg war selbst übrigens
nicht nur Jude, er war auch Entwickler der Zwölftonmusik und somit
Vorreiter dessen, was in den dreißiger und vierziger Jahren unter
den Oberbegriff der entarteten Kunst fiel. Den wollte schon die
Reichsmusikkammer nicht auf den Brettern haben, und deren Ideale
scheinen ja ohnehin wie geschaffen für die Erstellung eines
Spielplanes nach Art der AfD. Wie wäre es also, wenn man sich einmal
in die entsprechenden Archive begibt und die Akten der
Reichsmusikkammer nach spielbaren, geeigneten, das deutsche Volk in
seiner Selbstbeweihräucherung unterstützenden Musikstücken,
vielleicht sogar älteren, bereits vorgearbeiteten Listen durchsucht?
Als archiverprobte Studentin der Musikwissenschaft melde ich mich
hiermit schon einmal vorsorglich für jedes mögliche Praktikum an.
Ich bin mir sicher: Das wird ein Spaß. Vielleicht kann ja jemand den
Herrn Sagichnicht informieren. Und: Er soll Bier mitbringen.
Schon wieder auf dem Weg...und meine arme Lieblingsstrumpfhose beginnt,
erste Zeichen der Altersschwäche zu entwickeln
Schreiben im Zug... die Momentaufnahme täuscht übrigens:
So leer war es auch nur bis zum ersten Laternenpfahl
Die Musikalische Komödie der Oper Leipzig
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