Schweres Ge-Schütz


Vor mittlerweile viel zu vielen Jahren saß ich mit einer Gruppe von Kollegen um einen Tisch und spielte Gesellschaftsspiele. Zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns in der Vorbereitungphase auf die Leitung eines Jugendlagers und verbrachten zu diesem Zweck ein paar gemeinsame Tag in einer Blockhütte im Nirgendwo. Unsere Abende bestanden damals aus Salzstangen in medizinisch bedenklichen Dosen und Trivial Pursuit, einem Spiel, das mich mit der Frage nach dem Autor des Stückes “Der Biberpelz” konfrontierte, deren Antwort ich nicht kannte. Was peinlich genug gewesen wäre, für eine Germanistikstudentin, allerdings von der Tatsache geschlagen wurde, dass ich zu diesem Zeitpunkt in einem Haus in der Gerhart-Hauptmann-Straße lebte. Seines Zeichens Autor des genannten Stückes.

Dass mir das nicht noch einmal passieren sollte, gehörte zu der Sorte der guten Vorsätzen, die, einmal gefasst, dann doch nicht eingehalten werden, denn als ich das Heinrich-Schütz-Konservatorium in Dresden verließ, hatte ich es geschafft, jahrelang keine einzige Note von besagtem Herrn Schütz zu singen.

Und dabei handelt es sich um einen der Komponisten, denen die als Barock bekannte Epoche in Deutschland ihren Zweitnamen “Generalbasszeitalter” verdankt.
Genau diesen (also nicht den Zweitnamen, sondern den Generalbass und die dazugehörigen Stimmführungsregeln) brachte unter anderem nämlich der gute Herr Schütz aus Italien mit, wohin ihn sein Lehrer im Jahr 1609 geschickt hatte. Und das auch noch mit einem Stipendium (unsere Lehrer schickten uns höchstens in die Ecke, in der wir uns unseres Unvermögens ausgiebig zu schämen hatten).

Es soll ja Leute geben, die sich mit einer flitterüberströmten Salzteigversion des Schiefen Turmes zu Pisa als Souvenir begnügen, oder eben einer kleinen Gondel aus Muranoglas, denn Heinrich Schütz weilte ja immerhin in Venedig. Andere bringen einen schicken kleinen Italiener mit nach hause (So geschehen mit dem großen Italo-goes-Fanzose-Komponisten des Versailler Hofes: Giovanni Battista Lulli, a.k.a. Jean Baptiste Lully), oder meinetwegen auch ein leckeres neues Pastarezept. Nicht so Heinrich Schütz: Er hatte eine komplett neue Satztechnik im Gepäck und schickte sich an, das Neugelernte in Verbindung mit deutschen Bibeltexten auch in Deutschland zu verbreiten. Zweimal übrigens, denn beim ersten Italienbesuch schrieb er noch deutlich anders als beim zweiten. Nicht, dass er der Einzige gewesen wäre, den es nach Italien verschlug, auch Hasse, der im Übrigen mit einer italienischen Sängerin verheiratet war, nutze die Zeit in der Heimat der Farfalle und schrieb Opern, mit welchen er sogar Händel Konkurrenz zu machen hoffte, der sich allerdings nach anfänglichem Erfolg in England recht schnell nach neuen Ideen umsehen musste.

Egal, wir wurden sozusagen “beschützt” und da haben wir ihn also, den homophonen, klar strukturierten und nach Jahren der franko-flämischen Vokalpolyphonie zur Abwechslung auch wieder textverständlichen Satz: Den Kantionalsatz, der die Melodiestimme in den Sopran legt, den Tenor ein bisschen bauchpinselt, die Polyrhythmik mal eben mit einem Rippenstoß aus der Musik verbannt... den Satz dem die Sänger und Streicher der Altstimmen seit Jahrhunderten ihre diskriminierenden Witze verdanken (Welche Lagen gibt es auf der Bratsche? 1. Lage, Notlage, Gefahrenzulage und Stabile Seitenlage.... was sagt die Altistin in der Probe? “Ich glaube, da ist ein Druckfehler...bei mir steht in Takt 21 eine ganz andere Note als in den Takten davor”... wir kennen die Scherze... eine Dozentin bei uns formulierte es einmal so: “Wer Alt singt, ist sowieso selber schuld”. Hab ich ein Glück, dass ich Sopran singe! )

Tja, diese Glücksfälle gibt es, die uns in die Wiege gelegt werden und uns über das Fußnotenvolk erheben: Das Glück der hohen Stimmlage, das uns erlaubt, die ganzen schönen melodischen Stellen zu singen, während die Altstimmen unter uns heiser bellen und die Bässe von einem Ton zum 12maligen übernächsten hüpfen, wie Gummibälle auf der Flucht. Wir sollten uns ein weißes Band um die Stimmbänder schlingen, wie die ersten Geigen mit ihren Schweißtüchlein zwischen Kinnhalter und Unterkiefer, wie Oberkellner, die ihren Arm zum Streichen brauchen und deshalb ihre Serviette anderswo abgelegt haben. Hach, man möchte ihnen den Bogen um die Ohren hauen.

Aber bleiben wir beim Bogen und dem dazugehörigen Bogenschützen: Der gute Heinrich hat es im Grunde nicht verdient, derart auf seine Madrigalsammlungen und Oratorien reduziert zu werden, hat er doch im Laufe der Zeit eine ganze Palette an weltlicher Musik (Singspielen und Balletten, die allerdings ohnehin oftmals Hand in Hand gingen...die Barockoper war ja für ihre unrealistische Darstellung bei andererseits größtmöglichem Tamtam und Affekt bekannt) geschrieben, die aufzuheben sich allerdings niemand die Mühe gemacht hatte. Schade eigentlich. Da lernt man vielleicht sogar vom größten aller zeitgenössischen Meister, Claudio Monteverdi nämlich, und dann wandern die eigenen Sachen irgendwann einfach so in die Tonne. Wobei bei Aufräumarbeiten in Schütz' Wohnhaus erst vor knapp 5 Jahren 2 bislang unbekannte Textfragmente von ihm aufgetaucht sind, was mich zu der Frage bringt: Was für ein Messie muss man eigentlich sein, damit es gute 350 Jahre braucht, bis sich endlich Dinge wiederfinden lassen? Im eigenen Haushalt, meine ich, nicht in irgendeinem Archiv...Ich werde jedenfalls nie wieder verzweifeln, wenn ich wieder einmal 20 Minuten lang nach meinem Schlüssel suchen muss. Ich bin organisiert. Vergleichsweise zumindest.
 
 
 
 Wir ignorieren mal das nasskalte Wetter, spielen Frühling und essen geeiste Früchte :)
Und dann gibt es da auch noch die gesunden Sachen im Leben *hust*

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