Regretting Motherhood, Anna Magdalena Bach?




#regrettingmotherhood – unter diesem Stichwort kann man sich derzeit austoben im Netz, oder wahlweise den Kopf auf der Tastatur begraben. Nach 40 000 Jahren Homo Sapiens Sapiens wagt es eine Studie etwas aufzuzeigen, das als Tabuthema in unserer Kultur seinesgleichen sucht: Die Frauen, die an der Studie teilnahmen, sagten aus, dass sie ihre Kinder zwar lieben und niemals wieder hergeben möchten, aber -noch einmal vor die Wahl gestellt- die Mutterschaftserfahrung wohl nicht wiederholen würden. Ein Kind zur Welt zu bringen hat sie nicht mit dem erwarteten Glücksgefühl erfüllt, das alle Probleme dieser Welt zweitrangig erscheinen lässt, weil sie nun ihrer wahren Bestimmung als Brüterin gefolgt sind. Ganz ehrlich, man mag es nicht einmal heruntertippen, fürchtet schon, mit bösen Kommentaren versehen, ent-abonniert, oder in sämtlichen sozialen Netzwerken in der Luft zerrissen zu werden. Und dabei habe ich noch nicht einmal Kinder, die ich bereuen könnte, was übrigens noch so eine Sache ist, für das man sich offensichtlich vor fremden Leuten rechtfertigen muss. Nein, ich hasse Kinder nicht. Ehrlich nicht. Ihr könnt den Polizeischutz wieder abbestellen, ich esse kein Fleisch. Auch nicht, wenn es Justin-Kevin oder Alicia-Leonie heißt. Versprochen.
Als ich zum ersten Mal eine Zusammenfassung der genannten Studie las, waren die Kommentare voll mit Bemerkungen über arme Frauen, die sich Kinder wünschen, aber keine bekommen können, was zugegebenermaßen bedauernswert ist, aber doch in keinerlei kausalen Zusammenhang zu Müttern steht, die sich die ganze Sache anders vorgestellt hatten. Um mal vom Menschen auf ein anderes haben-oder-nicht-haben-Thema auszuweichen: So sehr ich mir eine Theorbe wünsche, sowenig bringt es mir, wenn ein Spieler es nun nicht mehr wagen darf, auszusprechen, dass er sich zuweilen wünscht, er habe niemals ein Instrument gewählt, bei dem man jedesmal 14 Saiten stimmen muss, ehe man ein bisschen Musik machen kann. Und eine Mutter, die nachträglich bemerkt, dass sie eben doch nicht strahlend vor Glück am Küchentisch sitzt und die armen ehemaligen Kommilitonen bei Karriereleiterextremeclimbing beobachtet, während sie nur einen Blick in die leuchtenden Kinderaugen zu werfen braucht, um zu wissen, was wahre Glückseligkeit ist, die macht auch einen unerfüllten Kinderwunsch bei Geschlechtsgenossinnen weder leichter noch schwerer.
Man mag es allerdings für ein First World Problem halten. Oder eben für einen Zusammenprall alter Wertvorstellungen und Geschlechterrollen in einer Welt, die diese Werte zwar nicht mehr zu schätzen weiß, allerdings auch keine Veränderung zulässt. Wenn ich Freunde frage, weshalb sie Eltern geworden sind, heißt es interessanterweise selten “Weil es mein allergrößter Wunsch war, mein Leben der Familie zu widmen”. Statt dessen höre ich rationalere Gedanken wie “Weil es zeitlich gerade gut passte”, “Weil es ja irgendwann sowieso an der Zeit wäre”, “Weil alle Freunde gerade auch Eltern wurden und die Kleinen dann gleich Spielkameraden hätten” oder auch (den traurigsten aller Gründe:) “Weil er unbedingt Kinder haben wollte und ich ihn nicht verlieren will.”
Das sind nun wieder Gründe, die zu jeder Zeit ihre Geltung hatten, ob es sich nun um eine Bronzezeitfamilie handelte, oder um die Müllers mit dem Smart von nebenan.
Zeitlose Gründe also in einer vom Zeitgeist geprägten Gesellschaft. Muss das irgendwann schieflaufen?
Greifen wir uns doch einfach mal ein Studienobjekt aus einer ganz anderen Zeit und werfen wir einen Blick auf die Frage nach der Mutterschaft unter deren Umständen. Weil ich ohnehin so eine Bachstelze bin und die gute Anna Magdalena Wilcke so nett zu uns herüberlächelt, fangen wir doch am besten gleich bei ihr an: So, Fräulein Jammersängerin, werfen wir doch einmal einen Blick in ihre Zukunft als Kantorenfrau in Leipzig.
Ausgangslage in Köthen: Gerade mal 20 Jahre alt, begabt, auf dem Weg nach ganz oben: Erste Sängerin am Hof, zweithöchstes Gehalt all Ihrer Musikerkollegen, die Welt steht ihr offen, die Träume sind dem Alter entsprechend vermutlich groß und der Herr Kapellmeister (der nochmal ein paar Steinchen mehr verdient und mit seinen 36 Jahren ein ziemlich stattlicher Kerl ist) macht ihr kräftig den Hof. Falls Sie tauschen wollen, Frau Wilcke: Ich wäre vermutlich dabei.
Kurze Zeit später hat der Herr Kapellmeister sein Ziel erreicht, die junge Dame hat ihren Nachnamen gewechselt und ist, quasi mit dem Anstecken des Ringes vierfache Stiefmutter geworden, wobei es zu bedenken gilt, dass die eigentliche Mutter der Kinder gerade einmal auf Umgebungstemperatur heruntergekühlt war und sich die älteste Stieftochter mit ihren 14 Jahren quasi auf dem Sprungbrett in die nervigste Phase der Pubertät befand.
Klingt nach genau dem richtigen Zeitpunkt, eigene Kinder hinterherzuschicken, nicht wahr? Und weil der Herr Kapellmeister so flotte Rhythmen drauf hatte, folgten gleich 13 Geburten, einschließlich eines geistig behinderten Sohnes, der ein gesegnetes Alter erreichte und niemals in der Lage sein würde, das Elternhaus zugunsten eines eigenen Lebens zu verlassen.
Überlebt haben nicht alle der 17 Kinder, die die Bachin versorgte, aber dafür folgte sie ihrem Mann nach Leipzig, wo sie ihren Beruf erst einmal an den Nagel hängen konnte: Die Oper geschlossen, die Kirche gefüllt mit Kackbratzen- ...Verzeihung...”Knaben”-Sopran. Sängerinnen waren im Leipzig der Zeit ungefähr so gefragt wie heute Telefone mit Wählscheibe.
Damit ihr nicht langweilig wurde schrieb sie (wie in einem Familienbetrieb durchaus üblich) Noten ihres Mannes für die einzelnen Sing- und Instrumentalstimmen ab, bearbeitete und vervollständigte, was er aus Zeitgründen nicht mehr auskomponieren konnte, nutzte ihr sängerisches Können, wenn es darum ging, den Thomasschülern musikalisch auf die Sprünge zu helfen und versorgte neben Bach und Bächlein auch noch zahlreiche Gäste, sowie so ziemlich alles, was sich sonst noch in die gute Stube verirrte. Die Bachkinder müssen sich gefragt haben, ob ihre Eltern in Wahrheit Imker seien, denn im Hause Bach ging es zu wie in einem Bienenstock. “Taubenhaus” war der Ausdruck, den der drittälteste Bachzwerg, Carl Philipp Emanuel, später für sein Zuhause prägen sollte. Bienen sind ja wenigstens noch fleißig und produzieren Honig. Tauben produzieren dafür jede Menge Dreck und futtern so ziemlich alles auf, was sie sich in den Schnabel schieben können.
Soviel also zum Thema Selbstverwirklichung als Frau. Regretting Motherhood, Anna Magdalena Bachin? Regretting Stepmotherhood? Oder eher Regretting den Tag, an dem sie den Kerl zum ersten Mal angelächelt haben?

Schade eigentlich, dass es keine Zeittelefone gibt (meinetwegen auch mit Wählscheibe), sonst hätte man einfach mal anrufen und nachfragen können, wobei man sich die Antwort wahrscheinlich ausrechnen kann, angesichts der Zuverlässigkeitsquote der damaligen Verhütungsmethoden, bei denen man vermutlich ebenso gut eine Unterhose des Gatten bei Vollmond unter einer Eiche vergraben konnte. Die Fehlerquote bekam dann eben einen hübschen Vornamen und Clavierstunden beim Erzeuger.
Die Alternative (sich nachts im Badezimmer einzusperren) war vermutlich wenig verlockend. Irgendetwas muss er ja an sich gehabt haben, der liebe Herr Bach, wenn man sich tatsächlich mindestens 13 Mal schwängern lässt ...ob es an den flinken Fingern gelegen hat, für die der gute Herr als Organist ja so bekannt war? Man denke nur an die berühmte Toccata und Fuge in d-Moll, oder das Wohltemperierte Klavier … vermutlich wurde da probeweise erst einmal die Frau temperiert... und wenn die Temperatur stimmte und die Dame heiß genug war, wurde die Fuge durchgeorgelt.... Oh, Bilder, geht aus meinem Kopf!
Kommen wir lieber mal ganz schnell zurück zur Ausgangsfrage: Bereuen Sie ihre Mutterschaft, Frau Bachin?
Ja, was hätte sie da wohl antworten sollen? Vermutlich so etwas wie “Wie? Bereuen? Wie meinen Sie das? Bereuen Sie es, arbeiten zu gehen? Oder die Tatsache, dass Sie mittags Hunger bekommen? Die Quintparallelen, die ich heute früh in die Bläserstimmen geschrieben und aus Zeitmangel nicht mehr korrigiert habe, die bereue ich, aber alles andere ist eben so, wie es ist!”
Man mag sie sich nicht vorstellen, wie sie statt dessen jammernd in einer Ecke sitzt und ihr Burn-Out bekanntgibt: “Ich kann nicht mehr, ich brauche Zeit für mich, ich brauche Bestätigung als Mensch und ich brauche meine Freiheit!”
“Nu glaar, Magdalenchen” hätte ihr Angetrauter vermutlich geantwortet, “Ich weiß schon, was de brauchst! Los, komm mit nach oben, wir bekommen auch noch ein weiteres Mäulchen satt!”








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