Musik und das Gewissen des Hörers


Richard Wagner, dessen Schrift “Das Judenthum in der Musik” *hier* schon einmal genauer unter die Lupe genommen wurde, hat glühende Verehrer in aller Welt. Verständlicherweise jedoch halten sich die Aufführungen seiner Werke in Israel (auch aus Rücksicht auf die Überlebenden des Holocaust) in Grenzen. Man spielt ja auch Leuten, die ihre Familie durch einen Tsunami verloren haben, nicht unbedigt “Die perfekte Welle” von Juli vor. So gesehen ist diese Art der Wagner-Rezeption (oder besser Nicht-Rezeption) für mich zumindest sehr gut nachvollziehbar.
Jedoch gibt es auch in Israel eine Wagner-Gesellschaft, die ihrerseits immer wieder versucht, ihren Landsleuten die Schönheit der Musik Wagners nahezubringen und den durchaus bestehenden Vorurteilen, auch die Musik an sich rufe indirekt schon zum Kampf gegen die Juden auf, mit Aufführungen seiner Opern zu begegnen. Vor beinahe 3 Jahren scheiterte einer der bisher letzten Versuche dieser Art kläglich: Jonathan Livny, der Vorsitzende der israelischen Wagner-Gesellschaft musste seinen Plan begraben, im Juni 2012 ein Wagner-Konzert in Tel Aviv auf die Bühne zu stellen.
Nun ist Israel zunächst einmal weit weg, und Probleme, die außerhalb unserer Armeslänge existieren, werden für die meisten Menschen mit jeder Meile, die dazwischen liegt, irrelevanter, doch haben auch wir mit unterschiedlichen Ideologien zu kämpfen.Täglich. Oder zumindest montäglich.
Um also mal Klartext zu reden: Wie sehen wir das eigentlich im Alltag? Was hören, bestaunen oder lesen wir mit Begeisterung, ohne die politische Einstellung der Künstler oder Autoren genauer unter die Lupe zu nehmen oder uns, selbst wenn sie unserer eigenen Einstellung in allen wesentlichen Punkten widerspricht, davon in irgendeiner Form beeindrucken oder abschrecken zu lassen? Wo genau ziehen wir unsere Grenzen und sagen “Nein, von dem höre ich mir schon aus Prinzip nichts an”?
Ist ein Wunderkind an der E-Gitarre samt seiner Band musikalisch nicht vertretbar, wenn er sich in einem typischen Neonazi-Outfit zeigt, gleichzeitig aber das Lesen von Schriften des Tacitus, Kant oder Voltaire wichtiger Bestandteil der Ausbildung? Immerhin gaben sie ebenso krasse antisemitische Aussagen von sich wie Henry Ford (dessen Autos wir ja trotzdem fahren), Charles Lindbergh und Paracelsus, nachdem so ungefähr jedes zweite Krankenhaus benannt ist.
Dürfen wir manche Antisemiten mögen und weiterhin deren Lieder singen (“Vom Himmel hoch, da komm ich her” beispielsweise...ja, auch Martin Luther wetterte gegen das jüdische Volk, und das nicht wenig), andere jedoch nicht einmal mehr auf eiem Nischensender im Radio spielen, weil sie sich auf einer Faschingsveranstaltung mit Seitenscheitel und Schnippelschnauzer gezeigt haben?
Kann man Kunst und Künstler überhaupt trennen oder spielt die Lebenseinstellung, die Weltanschauung des Schaffenden immer in irgendeiner Form in sein Werk hinein? Ist ein Bild eines politisch rechts angesiedelten Malers grundsätzlich ideologisch gefärbt oder sind derartige Aussagen selbst schon gefährlich, weil mit diesem Argument jede Gruppe, die gerade Oberwasser hat, eine andere aus dem Rennen schubsen könnte (Comics machen dumm, Oscar Wilde und Truman Capote machen schwul, “Die Farbe Lila” macht lila...und so weiter, der Dummheit sind ja bekanntlich keine Grenzen gesetzt)
Kann ich also sagen “Nein, also bei Wagner erkenne ich nun wirklich keine germanomanischen Klischees? Das sind halt alles zufällig große blonde germanische Helden, die da ihre Ehrbarkeit zur Schau tragen, während Figuren wie Mime nun einmal ebenso zufälligerweise alle Eigenschaften aufweisen, die man einem Cartoonsemiten nur andichten kann!”? Oder muss ich als Hörer eine klare Grenze ziehen und sagen “Im Grunde kann man Wagner wohl wirklich nur instrumental vertreten, denn diese Stereotypisierung in Held und jüdische Antifigur ist einfach unerträglich. Und weshalb nippeln bei ihm eigentlich bitte alle Frauengestalten am Ende der Oper ab, während die Männer Erlösung finden?" Seine Ansichten zum Judentum hat er ja ohnehin mehrmals ziemlich deutlich gemacht. Wieso, weshalb, warum darf der Hörer manches trennen und anderes wieder nicht?
Wo genau sitzt denn eigentlich die Grenze bei der Entwicklung einer Person? Hat man als Künstler eine zweite Chance verdient?
Der stereotype verkannte Held, dessen Schaffen ihn nicht retten kann... bei dem (schon viel zu häufig) genannten Richard Wagner kommt dieses Bild öfter zum Einsatz, als ich “Nicht schon wieder!” rufen kann. Bei Hans Heinrich Eggebrecht, dem Musikwissenschaftler, dem wir auch das Werk “Musik im Abendland” verdanken (das nun einmal wirklich kritisch gelesen werden muss, da der gute Herr ziemlich viele Vergleiche zwischen Völkern und deren kulturellen Hinterlassenschaften anstellt und das Bild, das wir von bestimmten Komponisten haben, allein durch seinen Bekanntheitsgrad nicht unerheblich mitgestaltet hat) wird dasselbe Bild vom unverstandenen Helden in seiner Beethoven-Biografie allerdings sehr negativ aufgenommen und zu dem in der Nazizeit typischen Bild des armen Ludwigs gezählt (der seinerseits wahrscheinlich in irgendeinem Lager verschwunden wäre, wenn er diese Zeit hätte miterleben müssen, denn immerhin war er ja nicht gerade dafür bekannt, mit seiner fortschrittlich-demokratischen politischen Meinung hinter dem Berg zu halten).
Nun hat Eggebrecht den Fehler gemacht, sich nicht zu den Verbechen zu bekennen, die während seiner Zeit bei der Wehrmacht verübt wurden und seine spätere Tätigkeit bei der Feldgendarmerie ebenfalls zu verschweigen, andererseits war er bei dem Massaker von Simferopol vom Dezember 1941, dem circa 13.000 Menschen zum Opfer fielen, unter denen sich wahrscheinlich etwa 10.600 Juden, 1.500 Krimtschaken und 600 bis 1.000 Roma befanden, nach neueren Erkenntissen wohl (mehr oder weniger zufällig) nicht direkt beteiligt, obwohl ihm das lange Zeit ohne handfeste Beweise unterstellt worden war.
Allerdings waren Eggebrechts diesbezügliche Erklärungen zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich längst nicht mehr glaubwürdig. Immerhin war er bereits als Student Mitglied im Nationalsozialistischen deutschen Studentenbund gewesen und später Musikreferent der Hitlerjugend.
Ans Licht kam seine nationalsozialistische Einstellung und seine Beteiligungen an diversen Kriegsverbrechen ohnehin erst ziemlich spät. Die Masche mit der Verleugnung hatte ziemlich lange ziemlich gut funktioniert, tatsächlich gab er sich, als die entsprechende Zeit gekommen war, sogar betont linksliberal und wurde dafür von seinen Studenten hoch geschätzt. Und wie ist das nun mit der persönlichen Entwicklung? Hätte der gute Herr Eggebrecht damals den Mut gehabt, zu sagen “Ja, Leute, damals hab ich mich mitreißen lassen und irgendwann einfach nicht mehr nachgedacht. Seid froh, dass ihr heute andere Möglichkeiten habt und haltet Augen und Ohren offen, wenn Euch jemand eine Ideologie aufs Auge drücken will”, dann hätte man ihm diesen Gesinnungswandel vielleicht sogar abgekauft und ihn als Paradebeispiel dafür gesehen, dass Menschen aus ihren Fehlern durchaus lernen können. Aber so? Da hat wohl der Mut gefehlt. Und Mut ist auch das, was bei uns allen gefragt ist, wenn wir Texte von Goethe oder H.G Wells ud E.T.A. Hoffmann lesen, uns mit den Umwälzungen sowohl in der Kirche an sich als auch in der deutschen Kirchenmusik eines Martin Luther befassen, oder eben Musik von Wagner hören. Denn im Grunde müssen wir die Entscheidung jedes Mal für uns selbst treffen und sagen “Ja, bis hierhin überwiegt die Kunst, aber spätestens bei diesem (…..) Werk wird mir die Sache endgültig zu bunt. Und ab diesem Punkt gehe ich dann eben auch nicht mehr mit.”


Die Möbel umstellen...wenn man sonst nichts Vernünftiges tun kann, muss wenigstens die unmittelbare Umgebung ein bisschen herumgeschoben werden. Meine Derzeitige Version von "Mal was Neues sehen"





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