Besingen auf eigene Gefahr - Bühnenunfälle bei Wagner-Opern
Nanu? Was hatte ich denn da für ein
Thema angeschnitten? War das wirklich derselbe Mann, mit dem ich die
Gräber von den Nazis verfolgter Juden besucht hatte und der so oft
mit nachdenklichem Gesichtsausdruck dasaß und in die Ferne starrte?
Gingen ihm dabei vielleicht Gedanken durch den Kopf, die ich mir so
niemals ausgemalt hätte und vor denen ich mich fürchten sollte?
Aber ich musste zugeben, die Sache mit
den Unfällen klang durchaus interessant. Wenn man sich so manche
Bühnenkonstruktion genauer betrachtet, ist es ein Wunder, dass nicht
viel mehr passiert in Theatern. Da darf man im Publikum nicht einmal
eine Wunderkerze anstecken und ein paar Meter weiter auf der Bühne
stürzt das brennende Walhall in sich zusammen. Kein Wunder, dass in
Frankfurt am Main in den 80er Jahren die gesamte Oper abgefackelt
ist. Ein Wunder nur, dass das nichts mit einer Aufführungspanne zu
tun hatte, sondern lediglich auf einen ehemaligen DDR-Flüchtling
zurückzuführen war, der frei nach dem Motto „Wir hatten ja
nichts, nicht mal Feuer, wir mussten unser Essen warm hauchen oder in
die Sonne halten. Woher hätten wir also wissen sollen, dass das
gefährlich werden kann?“ den Brand gelegt hatte. (Mal ehrlich, da
kommt John Cage einmal nach Deutschland um in erreichbarer Nähe
seine Oper Europera aufzuführen und dann brutzelt ihm die Bühne vor
der Nase weg... eigentlich eine Frechheit vom Schicksal, aber dazu
ein andermal).
Jedenfalls war mein Interesse geweckt
und ich machte mich auf die Suche nach entsprechenden Dokumenten und
durchbohrten Sängern.
„Warum man im Auto nicht Wagner hören
sollte“ heißt ein populärwissenchaftliches Buch des
ehemaligen Pianisten Thomas Richter.
Mittlerweile arbeitet er als Berater pharmazeutischer Untenehmen und
hat es auf knapp 150 Seiten geschafft, Otto Normalmusikhörer zu
erklären, was die Wissenschaft über den Zusammenhang zwischen
Musikhören, Musikmachen und den dazugehörigen Gehirnarealen so
herausgefunden hat.
Dass das Hören von lauter und
schneller Musik während derAutofahrt zu einem schnelleren und
aggressiveren Fahrstil führen kann, wurde inzwischen bereits
mehrfach bewiesen, mittlerweile existieren sogar Negativlisten mit
Songs, die man bei der Fahrt durch die Innenstadt besser meiden
sollte, sofern man nicht irgendwann Gefahr laufen möchte, den
trödeligen Sonntagsfahrer vor einem endgültig auf die Motorhaube zu
nehmen und dort wieder abzuladen, wo ihn niemand sucht. Mehr Beats
pro Sekunde als Kilometer pro Stunde, alles, was den Herzschlag
erhöht, verführt zu schnellerem Fahren und kann böse enden.
Dass man da nicht unbedingt den
typischen Deppen-Techno mit seinen bekannten Rückungen und ähnlichen
Passagen hören sollte, der ja tatsächlich dazu dient, Aggressionen
abzubauen, indem man sich dem Beat hingibt und auf einen Puls kommt,
bei dem sich gewöhnliche Blutdruckmessgeräte selbst krankmelden und
einen Urlaubsantrag einreichen würden, ist einleuchtend. Doch auch
klassische Musik kann dazu verleiten, so mitzugehen, dass man die
Konzentration nur noch auf das Gehörte verbraucht, was dann unter
Umständen den Knall mit einbezieht, wenn man den Kofferrauminhalt
des Vordermannes von innen betrachten kann.
Gerade Richard Wagners Walkürenritt
scheint uns da besonders mitzunehmen. Wahrscheinlich brettern wir
gedanklich mit über die Schlachtfelder und aus einem „Ruhig,
Brauner“ wird ganz schnell ein „Hej-ho, Silver! Auf geht’s!“
Wagner ist also gefährlicher, als man
glaubt und der gemeine Wagnerianer, dem man in Anlehnung an den
Ober-Wagner-Fanboy Adolf, gerne mal einen Hang zur Aggression und
gruseligen mythologischen Kämpfen nachsagen möchte, ist seinen
schwertschwingenden Sagengestalten vermutlich näher als er glaubt.
Was man sich durchaus mittels Außenbeschallung zunutze machen
könnte, um die Trödelspur der Autobahn im Sommer wieder
freizubekommen und den NL-beschilderten Wohnwagen vor sich mal flugs
in einen fliegenden Holländer zu verwandeln. Hej-ho Silver... ach,
das hatten wir schon.
Interessanterweise ließen sich so
viele Unfälle gar nicht finden, beziehungsweise wurden all die
Dinge, die man gemeinhin als gefährlich einstufen würde, wohl auch
schon von anderen Leuten als dergestalt eingeordnet und entsprechend
gesichert und entschärft. Rheintöchter, die -je nach Inszenierung-
von ihren Schaukeln hinab ins Publikum fliegen (beziehungsweise bei
entsprechendem Schwung hinter diesem an die Wand klatschen) sind in
keinem Dokument verzeichnet, dafür finden sich Verletzungen, mit
denen man vermutlich niemals gerechnet hätte.
So brach sich der Darsteller der in den
„Meistersingern von Nürnberg“ aus Lehm geformten Adamsfigur auf
offener Bühne die Leiste, als er splitternackt aufsprang, auf dem
Lehm um ihn herum ausrutschte und quer in den Beckmesser-Darsteller
hineinbretterte, der ihn zwar auffangen, den Bruch jedoch nicht
verhindern konnte. Ich gebe zu, das muss lustig ausgesehen haben,
auch wenn einem der gute Mann natürlich Leid tun kann und sollte.
Und es wirft die Frage auf, ob es sich auch dann noch um einen
„Auftritt“ handelt, wenn der Betreffende gar nicht vollständig
aufgetreten, sondern dabei bereits abgeschmiert ist. Da kann aus eiem
Auftritt ganz schnell ein Ausrutsch und aus einem Darsteller ein
Darlieger werden.
Was die Rheintöchter angeht, die
hatten bei den Festspielen im Bayreuth der 20er und 30er Jahre eine
Art Wellenkarussell, das sie in Auf- und Abbewegungen über die Bühne
fuhr, was das eine oder andere Mal für Unwohlsein sorgte.
Wagner-Enkelin Frieledlind berichtet, sie und ihre Geschwister hätten
als Kinder die Bühnenarbeiter beschwatzt, sie in den Mittagspausen
so lange auf dem Gerät herumfahren zu lassen, bis sie sich ihres
Mittagessens entledigt hatten. Wirkliche Unfälle, wie man sie ab und
zu bei ähnlichen Fahrgeschäften auf Rummelplätzen findet, habe
es aber nicht gegeben. Gut für die Wagners, schlecht für meinen
Artikel.
Kollabierende Kulissen gab es bei den
Festspielen im Jahr 2014, als während einer Tannhäuser-Aufführung
Stöcke aus einem Käfig brachen, allerdings gab es keine
berichtenswerten Folgen, weil der Saal umgehend evakuiert und die
Stöcke gekittet wurden. Dafür musste ein paar Jahre zuvor (2010 um
genau zu sein) die Generalprobe zum Lohengrin abgebrochen werden,
weil die Darstellerin der Elsa von einem herabstürzenden Requisit,
das ihr zielgenau auf die Schädeldecke fiel, ausgeknockt wurde und
auch bei zehn noch keine Anstalten machte, wieder aufzustehen.
Dabei gab es aber tatsächlich
Todesfälle, die nicht nur im groben Zusammenhang mit Wagner-Opern
stehen, sondern sich tatsächlich inmitten des Auftritts ereigneten.
Und nein, Lohengrin ist nicht auf seinem Schwan abgesoffen (wobei ich
mich immer gefragt habe, wie erstens ein einzelner Vogel einen
ausgewachsenen Mann tragen kann und weshalb er dies zweitens
überhaupt tun sollte, wo doch Lohengrins Papa den Schwanenpapa auf
dem Gewissen hat), sondern es waren gleich 2 Dirigenten, die im
selben Stück den Löffel, beziehungsweise den Stab aus der Hand
gelegt haben: Im Jahr 1911 war es der erst 55-jährige Felix Motti,
der während des zweiten Aktes von „Tristan und Isolde“ einen
Herzinfarkt erlitt, 1968 brach dann der Dirigent Joseph Keilberth im
selben Akt, tatsächlich sogar an beinahe derselben Stelle, tot
zusammen. Ich gebe ja zu, der zweite Akt ist hochemotional, jedoch
kann es ganz so spannend doch nicht gewesen sein, immerhin sahen die
beiden das Stück ja nicht zum ersten Mal, wussten also genau, wie es
weitergeht.
Vielleicht sollte man einen
Sicherheitshinweis auf der Dirigentenpartitur anbringen. „Zu
Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie zunächst die Textausgabe und
fragen Sie ihren Kardiologen oder Apotheker“. Oder Sie wechseln die
Seiten und stellen sich als Darsteller auf die Bühne, das scheint
sicherer zu sein. Solange Sie nicht einen auf Wolfgang Anheisser
machen und sich zuvor vergewissern, wo ihr Balkon zu Ende ist, kann
da nicht allzuviel passieren.
Ich weiß, das ist nicht Wagner, aber deshalb lasse ich mir kein Bachfest entgehen.
Und wie man sieht, war der Jo-Se zu Scherzen aufgelegt :D
Und wie man sieht, war der Jo-Se zu Scherzen aufgelegt :D
Kommentare
Kommentar veröffentlichen