Vergleichende Musikwissenschaft - kann das funktionieren?


Vergleichende Musikwissenschaft – geht so etwas überhaupt?

Natürlich geht das, weshalb denn nicht? Werden sich wohl die meisten denken, die diese Überschrift gelesen haben. „Man nimmt 2 Arten von Musik und vergleicht sie miteinander. WO ist denn hier bitte das Problem? Was für eine wahrhaft blöde Frage“.
Ja, so gesehen scheint es ja tatsächlich nicht schwierig zu sein, Vergleiche zu ziehen, wobei die zugrunde liegende Frage allerdings auch ausdrücken muss, was genau man denn nun miteinander vergleicht: Lautstärke? Melodiebildung? Schönheit oder gar Kunstfertigkeit? Sind Lautstärke und Melodiebildung nun noch Parameter, die man einigermaßen neutral in Bezug zueinander setze kann (das eine ist vielleicht durchgehend fortissimo zu spielen, während das andere im piano beginnt und sich erst in bestimmten Abschnitten steigert, das erste Stück ist überwiegend aus Sekunden aufgebaut, was es somit sehr sangbar macht, während im zweiten Stück größere Sprünge zu finden sind, oder beginnen beide Stücke mit einem Quartsprung und enden mit dem Grundton?) Bei den letztgenannten beiden Vergleichskriterien wird es hingegen schon schwieriger.
Was der eine als schön empfindet, zieht dem anderen sozusagen die Schuhe aus, in solchen Bereichen hängt viel mit unserem persönlichen Erfahrungshorizont zusammen, da gibt es Musik, die uns an Schönes erinnert und von daher auch sofort unbewusst als positiver wahrgenommen wird, aber auch Musik, wie wir sie bisher noch nicht erfahren haben und die die typischen Auswirkungen des neuartigen auf den Menschen (und vermutlich auch auf Tiere, die diese Art von Klanggestaltung wahrnehmen können) zeigt: Was ist das? Lauf weg oder halte zumindest Abstand, es könnte beißen. Und selbst wenn wir verifiziert haben, dass wir nicht auf seiner Speisekarte stehen, bleibt immer noch die Frage nach spontanen Erinnerungen, instrumentaler Vorliebe und weiteren Faktoren, die wir in einem einfachen Vergleich nicht berücksichtigen können. Und die Frage, was Kunstfertig ist, lässt sich vermutlich auch niemals beantworten. Je komplizierter ein Stück aufgebaut ist, desto sicherer kann sich der Komponist vielleicht herausreden, desto weniger kann man ihm vorwerfen, er habe es einfach so im Suff zusammengestöpselt, aber zeit- und musikgeschichtliche Phänomene wie das Ende der Franko-flämischen Vokalpolyphonie zeigen beispielsweise, dass sich Kunstfertigkeit nach einer gewissen Zeit auch abnutzen und dem Hörer dann nur noch auf den Senkel gehen kann. Irgendwann hat man eben alles gesagt und noch eine weitere Ebene hineinzuschieben, noch eine Stimme, noch einen weiteren Text, das will dann am Ende doch niemand mehr hören. Genau wie am Ende des Barockzeitalters kommt dann irgendwann der Ruf nach einer „neuen Sachlichkeit“, wie sie die Wiener Klassik am Ende der Entwicklung ja geradezu mustergültig geliefert hat, die Überlebenden vom alten Schlag predigen den Verfall der Sitten und der Kunst, aber die jungen Leute sind zufrieden und machen sich daran, ihre neue Kunstform so lange zu pflegen und zur Blüte zu führen, bis eben auch hier irgendwann der Herbst einsetzt, was im übrigens auch eine ganz angenehme Vorstellung sein kann: Jedesmal, wenn ich gezwungenermaßen (Wie laut kann man Musik eigentlich aufdrehen, so dass es der halbe Bus quasi auf Zimmerlautstärke mithören muss, während man selbst in-ear Kopfhörer trägt? Und platzt einem da nicht irgendwann der Kopf?) miterleben muss, wozu Teenager so abgehen, denke ich mir „Irgendwann ist auch dafür Oktober!“ Und damit wären wir eben auch schon bei einem der Probleme der Vergleiche: Ich habe soeben eine Wertung vorgenommen, bei der ich das, was mir persönlich zusagt, als Ausgangs- also quasi Vergleichspunkt genommen habe.

Gerade in der Musikethnologie kann das ziemlich unangenehme Folgen haben. Selbst wenn wir im Alltag (wo wir ja quasi nonstop Vergleiche vornehmen, um uns weiterentwickeln zu können) ganz profane Dinge wie Zahncremes miteinander vergleichen, so dient uns das bisher Gewohnte dabei stets als Maßstab, anhand dessen sich das Neue erst einmal zu behaupten hat. Die alte Version hat uns jahrelang gute Dienste geleistet, die Version aus dem Supermarktregal wird, besonders wenn es sich um eine bisher unbekannte Marke handelt, vorsichtig beäugt, ausprobiert und sodann dem Vergleich mit dem „Original“, der „Richtigen Zahncreme“ unterzogen. Nun schmeckt die neue Sorte vielleicht nicht ganz so frisch nach Pfefferminz, was zeigt, dass durchaus Verbesserungspotential besteht, dafür ist sie vegan und biologisch abbaubar, aber das „gilt“ nicht als Bewertungskriterium, das unsere alte liebgewonnenen Putziblank in den Schatten stellen könnte, denn „das braucht doch kein Mensch“. Es sei denn, er ist eben Veganer oder einer von diesen Spinnern, die sich Gedanken um ihre Umwelt oder – noch schlimmer: ihre Mitmenschen- machen. Wir merken etwas? Wer das eigene zum Maßstab macht, für den ist eben Mousse au Chocolat auch immer nur Schokopudding, dem es an Speisestärke fehlt und eine Leiquin (obschon ein viel jüngeres Instrument) eine „primitive Form der Geige“.

Manchmal, so scheint es, hat die Ethnomusikologie schon verschissen, ehe sie überhaupt einen Stift gezückt hat, wobei Vergleiche eben tatsächlich nur dann sinnvoll gezogen werden können, wenn vergleichbare Kriterien vorliegen, was die Eigenständigkeit, den Individualismus der Studienobjekte zumindest in diesem Bereich unmöglich macht und das eine beinahe zwangsläufig zu einer besseren oder schlechteren Version des anderen macht.Übertragen auf die historische Musikwissenschaft wäre somit Kuhnau ein ewig Gestriger, der den musikalischen Schuss nicht gehört hat, oder eben Telemann der Dieter Bohlen seiner Zeit, der abliefert, was das Publikum hören will und somit dafür sorgt, dass der Laden (Sprich: Die Neukirche) voll wird und die Musiker ihm gegenüber eine gewisse Loyalität entwickeln, denn schließlich könnten sie bei der Gelegenheit ja auch mal eine lukrative Mugge an Land ziehen.Dass Wagners Opern nach einem Vergleich mit einem Beatles-Song nicht als „grundsätzlich zu lang“ eingestuft werden können, ergibt sich quasi von selbst und zeigt, dass man sich manche, wenn nicht gar alle, Vergleiche irgendwie in die Haare schmieren kann. Wagner ist nun einmal keine primitive Vorform der Beatles, der, was die Länge betrifft, noch einiges zu streichen und zu lernen hatte. Und auch wenn uns der Lauf der Geschichte (fälschlicherweise oft als „Fortschritt“ eingestuft, was ja nicht unbedingt etwas Gutes zu sein hat... Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium ist ja nicht wirklich besser, als sich mit den ersten Anzeichen herumquälen zu müssen) diesen Eindruck vermitteln mag, so ist alles Neue nicht unbedingt eine verbesserte Form des Alten. Vermutlich muss man die gesamte Vergleicherei ein für alle Mal begraben und sich – wie in den 20er Jahre des letzten Jahrhunderts geschehen und bis in die 60er Jahre hinein aufrechterhalten- mit den einzelnen Kulturen und ihren musikalischen Ausdrucksformen als Einzelphänomen auseinandersetzen. Dann ist eben gar nichts eine frühere, spätere oder weiter entwickelte Form eines anderen Stils, sondern alles sind Äpfel, Birnen oder andere Obstsorten, die bekanntlich nicht miteinander verglichen werden durften. So kann man die Dinge schon eher betrachten und unter der Prämisse, dass "ethno-" eben nicht das Außereuropäische, sondern alles außerhalb der Vergleichsgruppe betrachtet, kann sie auch guten Gewissens betrieben werden. Immer vorausgesetzt, man hält nicht eines davon für das "fertige" Produkt, sondern definiert beides als voneinander unabhängige Phänomene.

Aber um die eigentliche Frage nach den Universalien nicht aus den Augen zuverlieren: Universalien, das sind in unserem Fall eben die Dinge, die in jeder Kultur vorkommen und klar definieren, dass es sich bei einer bestimmten Lautfolge um Musik handelt und nicht etwa um Kindergeschrei, Industriegeräusche oder das akustische Ergebnis von zuviel Alkohol in zu kurzer Zeit. Und genau das lässt sich offenbar nicht bestimmen. Behauptet zumindest Bruno Nettl in The Study of Ethnomusicology: Thirty-one Issues and Concepts. 
Allerdings räumt er auch ein, dass es funktioniere könnte, das Pferd von der anderen Seite aufzuzäumen und Dinge zu suchen, die, wenn auch nicht in allen, so zumindest in manchen musikalischen Formen so ziemlich jedes Kultur vorhanden sind: Melodie, Gesang, Rhythmische Strukturen beispielsweise. Wobei natürlich jede Menge Musik ohne Gesang (Symphonie (mit den üblichen Einschränkungen bei Mahler, Beethoven und Konsorten), Sonate, Konzert), ohne Instrumente (Gregorianik, Isicathamiya, Barber-Shop,Shōmyō), ohne Melodik (alle Arten von reiner Perkussionsmusik, sowie dieses hier ) und ohne alles (John Cages Reihe von Tacet-Stücken, die entweder gewollt (4' 33') oder im Zuge der Aleatorik eben nur zufällig ohne Beteiligte ausgeführt werden) vorhanden ist. Diese Listen wären vermutlich endlos.
Und für diejenigen unter uns, die sich fragen, inwiefern Geräusch und Musik tatsächlich ein und dasselbe sein können oder es -ohne den genauen Zusammenhang zu kennen- wirklich nicht möglich sein sollte, zu erkennen, ob es sich nun um sprachliche oder musikalische Äußerungen handelt: Hier hätten wir ein Stück, dessen gesamte Rhythmusgruppe aus technischem „Gerümpel“ besteht (und zu dem wir damals tatsächlich "abgegangen sind", wie es heute heißt). Und hier wäre Luciano Berios „Sequenza III“ als Beispiel für Lautäußerugen aller Art.

        Mein letzter Wille: Fröken Finemang mit (Lese-) Brille

 Leute, ehrlich, es kann nichts Dümmeres geben, als diese Bauchnabel-Challenge. Demzufolge bin ich ein Klops allererster Güte. Und selbst wenn euch eine Speckschicht am Erreichen eures Nabels hindern sollte: Das ist doch schließlich euer Nabel und euer Körper und somit eure Sache! Vergleichende Nabelschau ist genauso abwertend wie die frühe Form der vergleichenden Musikwissenschaft.

Der (neben Sven Wernicke :) ) vermutlich niedlichste Teilnehmer am Blog 'n' Burger Event in Dresden: Lotta, die später auf meinem Schoß eingeschlafen ist.

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