Savoir Senser - Warum wir traurige Musik so lieben
Ein paar Jährchen
ist es nun schon her, da saß ich einer Klasse gegenüber, die
beinahe ausschließlich aus Asiaten bestand. Ein einsamer Franzose,
der übrigens binnen kürzester Zeit zum Schwarm eines halben
Kontinents avancierte, und eine Baskin rundeten die Gruppe ab. Als
eine Reihe von kurzen Einzelvorträgen zum Thema „Welche Musik
hören die Mitglieder meines Freundeskreises ein meiner Heimat und in
welcher Situation hören wir diese Musik?“ anstand, wurde es
musikalisch gesehen bunt in der Klasse. Die Peking-Oper wurde
genauso vorgestellt (und ein Stück daraus sogar vom Schüler selbst
vorgesungen) wie japanischer Elektro-pop. Und der Franzose steuerte
einen Song eines Sängers namens Florent Pagny bei. „Savoir Aimer“
(Wissen, wie man liebt) heißt das Stück und wurde uns mit den
folgenden Worten angekündigt: „Wenn Du bist traurig oder hast eine
Problem mit Deine Freundin und Du hörst diesen Chanson...Du springst
bei dem Fenstäär!“
„Bei dem Fenster“
sind wir nicht gesprungen, aber die Gesichter um mich herum verrieten
mir, dass es vielleicht besser sei, die Pause vorzuverlegen und eine
Viertelstunde später mit einem neuen Thema wieder einzusetzen.
Trauige Muik ist so
eine Sache für sich: Nur für den Fall, dass man es mir nicht
glaubt, ohne dass ich eine Studie zum Thema vorweisen kann:
A.M.Levanthal zeigte in „Sadness, Depression and Avoidance
behaviour. Behaviour Modification“ die uns allen bekannte
Tatsache auf, dass wir um traurige Anlässe eigentlich ganz gerne mal
einen Bogen machen. Gleichzeitig zeigen Studien jedoch, dass wir beim
Thema „Kunst“ (also Musik, Literatur, Film) eine Ausnahme zu
machen scheinen. Negatives suchen wir ja normalerweise nicht explizit
auf. Ich sage „normalerweise“, denn es mag ja tatsächlich Leute
geben, denen es Spaß macht, Beerdigungen aufzusuchen und die sich
das ganze Jahr über auf ihren Steuerbescheid freuen. Was uns
Verhaltensnormalos anbelangt: Wenn wir traurige Anlässe im
Allgemeinen weitläufig umschiffen: Weshalb zieht es uns dann ins
Kino, wo wir doch genau wissen, dass Bambis Mutter erschossen wird?
Und warum kommen wir auf die eigentlich vollkommen abwegige Idee,
ausgerechnet dann traurige Musik zu hören, wenn es uns ohnehin schon
nicht gut geht? Da stimmt doch etwas nicht mit uns, könnte man
meinen.
Ein Grund, den
sowohl Studien, als auch eine Umfrage meinerseits im eigenen
Freundeskreis ergab, ist wohl die Tatsache, dass man sich durch die
Musik bestätigt fühlt. Man ist nicht der einzige Trauerkloß auf
der Welt, es gibt also sozusagen eine Gruppe der heulenden
Schlosshunde, die einen immer wieder bei sich aufnimmt, wenn man
überall sonst mit den Worten „Stell Dich nicht so an“ , „Es
gibt Schlimmeres“ oder „Deine Probleme möchte ich haben“ in
die Wüste geschickt wurde.
Eine Gruppe derer,
denen es ebenfalls sterbenselend geht... einerseits ja eine gute
Idee, um dem vereinsamten Herzen das Gefühl zu geben, gut aufgehoben
zu sein, andererseits aber auch irgendwie gefährlich, wie ich
finde... das Ganze hat ein bisschen etwas von einer
Weltuntergangssekte, wenn ich mir das überlege. Und wenn ich dann
noch bedenke, was ich selbst gerne höre, wenn ich miserabel drauf
bin, dann ist die Idee mit dem Weltuntergang tatsächlich gar nicht
so abwegig... auf Anhieb fällt mir jetzt nichts ein, was irgendwie
gut ausgehen könnte oder auch nur den Ansatz einer lebensbejahenden
Ausgangs in sich trägt. Die Apotheose, das Alpenglühen...vergesst
es, es kommt nicht vor. Ihr werdet schreien und weinen! Denn ich
hatte viel Bekümmernis! :D Und wenn ich an die Bäche von gesalznen
Zähren denke...dann fällt mir ein, dass die Seufzermotive, die in
dieser Jammerkantate (Bachwerkeverzeichnis 21, für den 3. Sonntag
ach Trinitatis (für die Bachstelzen unter der Leserschaft))
verwendet werden und die so typisch für den Ausdruck von Kummer und
Leid in der Musik sind, auch in einem Lied im Vordergrund stehen, das
der ungarische Pianist Reszo Seress 1933 veröffentlichte und das
ziemlich fix unter der Bezeichung „Selbstmörderlied“ die Runde
machte: Gloomy Sunday. Sozusagen das musikalische Pendant zu den
„Leiden des jungen Werther“, das ja ebenfalls nicht wirklich die
Lebensfreude seiner Leser zu steigern schien. Was den Gloomy Sunday
betraf, so soll es sogar Überlegungen gegeben haben, die Verbreitung
des Liedes über die Medien von staatlicher Seite verbieten zu lassen,
was diese allerdings (wie beispielsweise die BBC) teilweise bereits
von sich aus taten. Umstrittene Musik zu spielen, das ist eine
Sache, mithilfe eines Songs quasi zum Selbstmord aufzurufen, eine
andere.
Was war da
geschehen? Hatte der Song ein Zuviel an Bestätigung geboten, was die
Sinnlosigkeit des Lebens betraf? Und das ausgerechnet bei einem Lied,
das ursprünglich aus Ungarn stammte?
Denn
einer weiteren Studie zufolge sind Osteuropäer nach dem hören
trauriger Musik angeblich sogar noch besser drauf, als Wessis (Gibt
es in diesem Zusammenhang eigentlich Studien über die Verbindung von
Musik- und Vodkagenuss?) … das ist jedenfalls eines der Ergebnisse,
die uns Liila
Taruffi und Stefan Koelsch von der Freien Universität Berlin
bescherten, die im Rahmen eines Projektes 772 Menschen vollkommen
unterschiedlicher Herkunft und kultureller Zugehörigkeit online zu
ihren Musikvorlieben befragten. In 76 Fragen (die übrigens in
vollkommen musikfreier Umgebung zu beantworten waren) wurde nun
abgefragt, welche Arten von Musik zu welchem Anlass und in welcher
Gefühlslage bevorzugt angehört wurden, und wie sich der Genuss
dieser Musikstücke auf die jeweilige Stimmung auswirkte.
Dieser Studie
zufolge war es übrigens weniger das Gefühl, nicht alleine zu sein,
das das trostspendende Moment darstellte, sondern eine Mischung aus
Erinerungen an schöne Stunden und Kummer darüber, dass man diese
nun hinter sich gelassen hatte:
Nostalgie nennt sich das Ganze und
ist quasi die körpereigene Ausstellung zum Thema „Kitsch in jeder
Lebenslage“- das Bad Art Festival der eigenen Amygdala sozusagen.
Gehirnfasching eben.
Weshalb die
Faschingsparade von Zeit zu Zeit in einen Gothic Carnival umschlägt
und sich die Gruftis unter unseren Gefühlen darum reißen, uns zu
sich in die Unterwelt zu ziehen, ist hingegen weniger gut erforscht.
Zwar lassen sich die unterschiedlichen Faktoren der Musik und ihre
grundsätzlichen Auswirkungen, bzw. Wirkungsbereiche auf Gefühle
relativ leicht erfassen (Man denke an Dur als eher als fröhlich
empfundenes Tongeschlecht, wohingegen Moll-Tonarten immer etwas
trauriger wirken, schnelle oder langsame Rhythmen (kein Schlaflied
funktioniert bei 140 MM/Beats per Minute oder im 9/8-Takt),
Lautstärke, und nicht zuletzt die melodische und rhythmische
Entwicklung). Andererseits berührt uns als Hörer nur ein Bruchteil
der Musik, die wir konsumieren. Während uns ein Stück zu Tränen
rührt, geht uns ein anderes mit einem Lächeln ganz weit hinten
vorbei, wobei gerade dieses, für mich emotional vollkommen
uninteressante, Stück meinen Nachbarn in eine Sinnkrise stürzen
kann.
Blöd nur, dass niemand voraussagen kann, was nun gerade auf
wen aufwühlend oder beruhigend wirken könnte, zumindest nicht, solange
das Produzententeam oder der/die Komponist/in nicht jeden von uns
persönlich kennt.
Unser Kopf mag ja
wissen, dass wir lediglich ein paar aneinandergereihte Töne hören,
unser Unterbewusstsein, das gerade sämtliche Hormonschubladen
durchkramt, weiß das jedoch nicht, weshalb der Mechanismus der
Gefühlserzeugung in mir sich praktisch ohne meine Zustimmung
abspielt, was ich ehrlich gesagt nicht besonders fair finde.
„Soso“ würde
der gute Herr Bach nun einwerfen, „Und wie kommt es dann, dass sich
Dir bei einem Diabolus in Musica sämtliche Zehennägel aufrollen,
und Du bei einem Seufzermotiv gleich mitseufzen musst, liebe Dame?
Weshalb gehst Du denn fröhlicher aus der Kirche, wenn der Himmel mit
einer Anabase, einer aufsteigenden Tonleiter also, erklommen wurde
und ich den Moll-Akkord am Ende mittels einer picardischen Terz mal
eben in ein strahlendes Dur verwandelt habe? Und lüg mir nichts vor,
ich habe Dich beobachtet!“
Tja, was sage ich
denn dann? Wahrscheinlich so etwas wie „Weil Du mich eben kennst
und Deine Art zu schreiben in etwa meiner Art zu fühlen entspricht! Deshalb mag ich Dich ja auch so gerne. Aber nicht der Anna Magdalena verraten, ok?“
Aber das weiß er ja
schon lange, der Jo-Se.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen