Musik und Handlung: Filmmusik und wozu wir sie brauchen
Wer erinnert sich noch an das gemeinsame Musizieren in
der Kindheit? An Hausmusik in der Familie oder mit Freunden. An
Vorschuladventszeiten, die angefüllt waren mit
Barockschnullergetröte (weshalb lehrte man Blockflöte zu meiner
Zeit eigentlich grundsätzlich in Riesengruppen unter dem Motto
„Lauter ist besser“? Und je mehr ihr seid, desto weniger hört
man, wenn sich der einzelne verspielt, oder mangels Können ganze
Passagen lediglich imitiert? Mit aufgeblasenen Backen und
konzentriertem Schummlerblick? War das das Mekka derjenigen, die
nicht wirklich spielen konnten und das Grab der Musik, oder etwa
bereits der Beginn des Punk, dem ja irgendwie dieselbe Philosophie
zugrunde liegt? Jeder kann örgentwass örgentwi. Unt zur Not,
machma Kunst traus!), mit brummenden Geschwistern im Stimmbruch und
den ewig gleichen Weihnachtsliedern? Stille Nacht bis der Baum Feuer
fing?
Jedes Mal, wenn ich meine Großeltern besuchte, gab es
Hausmusik nebenan. Dann trottete ich, damals noch mit meiner
Querflöte unter dem Arm, zur Nachbarin, die aus Böhmen kam,
entsprechend gute Marillenknödel machte und am Klavier sang, während
ich mich einem Lungenkollaps entgegenblies. Filmmusik gab es, was
eigentlich eine tolle Sache gewesen wäre, wenn sie nicht
ausgerechnet eine Vorliebe für Heimatfilme gehabt hätte. Ich
schwöre, noch heute kann ich jede einzelne Note von Mariandl ausdem Wachauerlandl spielen. Auf jedem einzelnen Instrument, auf dem
ich eine halbwegs saubere Tonleiter hinbekomme.
Dabei hätte es so schöne Filmmusik gegeben. Große
Werke ebenso großer Künstler. Also sprach Zarathustra wurde ebenso
in einem Science-Fiction-Film verbraten, wie das wunderbare
„Atmosphères“ des ebenso wunderbaren György Ligety (Wir
sprechen hier übrigens von 2001: Odyssee im Weltraum – einem Film,
den man sich tatsächlich nur noch wegen der Musik anschauen mag).
Übrigens, wo wir gerade bei Weltallfilmen und Musik sind: Sollte
jemand planen, in Leipzig Musikwissenschaft zu studieren: Die Frage
nach John Williams und seiner Musik zu Star Wars wurde mir damals
zumindest gestellt. Im Gegensatz zu mir wusste mein „kleiner“ (er
überragt mich um mindestens 2 Köpfe) Bruder sogar, wer es
eingespielt hatte....
Zugegeben, in vielen Fällen wirkt Filmmusik so, als sei
sie aus vorgearbeiteten Musterstücken zusammengeschustert worden,
einsortiert in „Spannung“, „Romantik“, „Inferno“ und
„Abspann“, dann ertönt tatsächlich jedes Mal eine schlechte
Kopie von Griegs Morgenstimmung, wenn irgendwo die Sonne aufgeht und
ein neuer Tag neue Chancen birgt, allerdings ist es auch nicht so
einfach, dem teilweise vollkommen überzogen erscheinenden Anspruch
zu genügen, gleichzeitig die Handlung zu stützen, die
entsprechenden Gefühle beim Zuschauer zu verstärken, dabei aber
selbst nicht im Vordergrund zu stehen, denn wenn der Kommissar die
Leiche findet, dann ist sollen sich die Leute an genau diesen Moment
erinnern, und nicht an die Rückung um einen halben Ton nach oben
(billig, aber effektiv, wenn es um die Erzeugung von Spannung geht),
sowie eine Verdoppelung der Notenwerte, so dass der Grundschlag
irgendwie beibehalten werden kann, während sich gleichzeitig
plötzlich 8 statt 4 Töne zwischen den Taktstrichen tummeln und das
Gefühl einer Beschleunigung erzeugen. Tonhöhe, Lautstärke, Statik
und Tempo spielen dabei eine ebenso große Rolle, wie der gezielte
Einsatz von Dissonanzen. Man denke nur einmal an die Duschszene in
Psycho. Wer jetzt keine kreischenden kratzigen Geigen im Kopf hat,
darf sich setzen.
Ein kuscheliger C-Dur-Dreiklang erzeugt nun einmal bei
weitem nicht so viel Bedrücktheit, wie beispielsweise sein Cousin 2.
Grades. Ein a-moll7, wobei der für sich alleine gesehen auch nicht
besonders spannend ist, wenn das tonale Umfeld nicht berücksichtigt
wird. Innerhalb einer d-moll-Tonika will so ein a7 dann aber doch
nach Hause, unter die Bettdecke und weinen gehen. Die Generation der
Leittonsklaven lässt grüßen.
Die Aufgaben der Filmmusik haben wir ja schon einmal
kurz angerissen, nun gibt es aber auch eine Menge Filme, bei denen
wir die Handlung getrost in die Tonne kloppen können, alleine die
Musik macht den Kinobesuch schon zu einem Erlebnis. Die genannte
Weltraumodyssee ist einer dieser Fälle, Koyaanisqatsi wäre ohne
die Musik von Philipp Glass absolut unvorstellbar, und was wäre der
Planet der Affen ohne die Musik von Jerry Goldsmith? Genau: Ein Haufen Menschen in Affenkostümen nebst einem Haufen Affen in Menschenkostümen.
Andere Filme leihen sich, wie zu den Anfangszeiten des
Kinos praktiziert, große Stücke noch größerer Meister: Viscontis
Tod in Venedig wäre uns wohl kaum so nahe gegangen, wenn Tadzio zu
den Klängen des Ententanzes ins vom Sonnenuntergang gerötete Meer gewatet wäre. Und Zarathustra
spricht immer noch zu uns, während das Raumschiff durch das All
gleitet. Walt Disney, sonst eher für das typische
„Mickey-Mousing“ (Musik, die die Handlung nicht nur unterstützt,
sondern quasi die Geräusche dazu mitproduziert, wie etwa einen
Paukenschlag, sobald eine Cartoonfigur auf die Schnüss fliegt, oder
Castagnettenrasseln, das einen Treppensturz Stufe um Stufe begleitet)
bekannt, schuf mit „Fantasia“ einen Film, der quasi eine
Geschichte Ton für Ton auf Paul Dukas' wunderschöne sinfonische Dichtung "Der Zauberlehrling“ legt. klick
Da möchte man doch knappe 130 Jahre zurückreisen, den
guten Eddie Hanslick schnappen, am Kinosessel festbinden und ihn
danach bitten, seine Aussage zur Unmöglichkeit von Programmmusik
noch einmal zu wiederholen.
Und dabei war Filmmusik zu seiner Zeit bereits präsent.
Allerdings weit weniger ausgefeilt und hauptsächlich einem sehr
einfachen Zweck dienend: Die Vorführgeräte der ersten Generation
waren derart laut und unangenehm anzuhören, dass sie die Zuschauer
beim Filmegucken störten. Somit entschloss man sich, Feuer mit Feuer,
bzw. Krach mit noch mehr Krach zu bekämpfen und legte eine Musikspur
über das ganze. Zu Beginn handelte es sich dabei eher um eine
zusammengewürfelte Mischung all dessen, was das Archiv so zu bieten
hatte, Hauptsache laut genug, um den Projektor zu übertönen, bald
jedoch stellte sich heraus, dass Musik, die gegen die Handlung
arbeitet, mitten in einer Szene wechselt oder sonstwie nichts mit dem
Gezeigten zu tun hat, noch mehr nervt, als das Projektorengeratter.
Und so tat sich eine neue Geldquelle auf, für all diejenigen, die
nach ihrem Musikstudium nicht genügend Auftritte an Land ziehen
konnten: Eine Karriere als Kinopianist. Man spielte klassische Stücke, manche mehr,
manche weniger bekannt, so schnell oder langsam es sich im
Zusammenhang mit der Handlung eben gut anfühlte, mal länger, mal
kürzer, dazwischen wurde improvisiert und irgendwie bekam man es mit
wachsender Erfahrung dann irgendwann hin, Handlung und Musik
ineinander greifen zu lassen. Fast so, wie es die Filmmusik noch
heute tut.
Ein besonderes Schmankerl mussten Tanz- und
Gesangsszenen gewesen sein. Da sagte man dem Pianisten dann am besten
rechtzeitig Bescheid, was beim Drehen des Films gespielt worden war,
um unliebsamen Überraschungen vorzubeugen. Und wenn gesungen wurde,
dann durfte der Herr am Klavier entweder aus dem vollen Schöpfen
(keine Sorge, Musicalfilme, wie West Side Story oder Evita kamen später, blieben
dem Mann also erspart), oder man legte eine Schallplatte auf. Idealerweise
dann auch dasselbe Stück, das bereits bei der Aufnahme der Szene
gesungen worden war. Auch das hätte sonst peinlich werden können.
Der größte Schritt war mit der Schallplattenidee dann
auch schon getan: Man hatte eine Ton- zu einer Filmspur geschaffen
und mit steigender Aufnahmekapazität, was Schallplatten oder
Tonwalzen betraf, stieg auch der Anteil der Filmmusik aus der
Konserve.
Als dann in den 1920er Jahren der Tonfilm im wahrsten
Sinne „von sich reden“ machte, hätte die Filmmusik theoretisch
ausgedient haben können, immerhin springen wir im wahren Leben, an
das der Film ja angelehnt sein sollte, auch nicht zur Musik von Benny
Hill durch die Gegend, wenn wir jemanden suchen oder verfolgen klick (wer hat nicht sofort lange Flure mit sich öffnenden und
schließenden Türen im Kopf, wenn er diese Töne hört?), allerdings
stellte sich bald heraus, dass des Filmen ohne die Musik etwas
fehlte: Irgendwie wirkten sie flacher, emotionsloser, fehlte ihnen
der Tiefgang ohne die Musik. Und so blieben die Töne im Repertoire.
Zum Glück, würde ich sagen, denn Yellow Submarine wäre ohne
Musikspur einfach nur ein großer Unfall mit zu viel Heroin und einem
Wasserfarbkasten.
Was die Musiklosigkeit des täglichen Lebens betrifft,
könnten wir ja alle einmal ein kleines Experiment wagen: Nehmen wir
einem an seinem MP3-Player festgewachsenen Teenager doch ganz einfach
mal seine Musikdose weg und fragen wir ihn am Ende des Tages, ob er
das Gefühl hatte, seinem Leben habe es an diesem Tag irgendwie an
Tiefgang gefehlt.
Wenn ich die Weiße Scheiße da draußen so ansehe und das Thermometer sich keinen Milimeter nach oben bewegt, kann ich kaum glauben, dass es in 3 Monaten schon wieder so aussehen soll...
Momentan müsste die Straße schon beheizbar sein, wenn ich mich tatsächlich hinausstellen sollte :)
Und für diejenigen, die die offensichtlichste Filmmusik (das Filmmusical) vermisst haben: Da unterscheide ich zwischen verfilmtem Musical (Hair und dergleichen, deren Musik bestenfalls angepasst wurde) und ganz neuer Musik. Zum Trost gibt es noch schnell mein Lieblingsstück aus "Fame": The body electric
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