Fuir le Bonheur de Bach - Die wunderbare Welt der Covers und Zitate
Als
ich den dritten Satz aus Johannes Brahms' Sinfonie Nr. 3 zum ersten
mal hörte, kam er mir so bekannt vor, dass ich das Thema von Anfang
bis Ende mitsummen konnte. Irgendwo hatte ich das Stück schon einmal
gehört und fest in meinem auditiven Gedächtnis verankert. Eingängig
genug ist es ja, melodisch, eigentlich schon liedartig. Ein paar Tage
später hatte ich die Sache noch immer nicht aus dem Kopf und summte
sie auf dem Weg von meinem Kinderzimmer hinunter in die Küche vor
mich hin. „Ich wusste gar nicht, dass Du Gainsbourg magst!“
sagte meine Mutter, die mich gehört hatte. Bitte? Gaisburger Marsch
war einem Kind aus meiner Umgebung zwar ein Begriff, ein
traditionelles schwäbisches Eintopfgericht mit Graupen, benannt nach
dem Stuttgarter Stadtteil, in dem es vermutlich erfunden wurde, aber
Gainsbourg als Musiker sagte mir nichts. Mit meinen damals gerade fünfzehn
Jahren konnte ich mir das zwar verzeihen, schlimmer fand ich
irgendwie, dass meine Mutter Brahms nicht erkannte, aber ein darauf
folgender Blick in ihre Schallplattensammlung brachte die
Offenbarung: Serge Gainsbourg, französischer Frauenschwarm,
Chansonnier, Schauspieler und rotweintrinkender Kettenraucher (Hallo,
Klischeefranzose der 60er Jahre, da fehlt doch eigentlich nur noch
das Baguette unter und die Dame in dem Arm), hatte Anfang der 1980er
Jahre einen Song für seine damalige Lebensgefährtin, die
Schauspielerin Jane Birkin, geschrieben, dessen Melodie beinahe einer
1:1-Kopie der Brahmssinfonie entspricht. Dass er dabei auch Streicher
einsetzte (im Pizzicato), war sicher kein Zufall. Ein Zitat also, das
klar auf Brahms verweist, im Gegensatz zu den meisten Coverversionen,
die sich ganz einfach das Schreiben eines eigenen Songs zu ersparen
scheinen.
Oh
ja, es gibt Schreckliches auf dem bunten Markt der Coversongs:
„Lieder“, wie „Pump ab das Bier“ (Werner Witzig, der seinem
Namen übrigens keine Ehre macht), die ein ohnehin schon
anstrengendes Original („Pump up the Jam“ (Technotronic))
endgültig verhunzen. Lieder, die ein eigentlich sinnvolles Original
verhunzen („Informer“ (Snow), das sich um Drogenhandel und das
Leben im Ghetto dreht, wird in der deutschen Version mal eben zum
„Farmer“ (Zitat: Ich bin der Farmer, bin hier geboren auf dem
Land und melke Kühe. Ich finde keine Frau“ Tja, auch das scheint
ein ernsthaftes Problem zu sein, das allerdings mittlerweile Abhilfe
in Form von Sendungen wie „Bauer sucht Frau“ bekommen hat)), und
dann noch Songs, die in der Coverversion ganz einfach nur
unglaubwürdig sind (Wer bitte hat einer seeeehr blonden Britney Spears
ihr „I love Rock'n'Roll“ damals abgekauft?).
Serge
Gainsbourg schien da mit seiner völligen Neuinterpretation etwas
eigenes geschaffen zu haben, wobei auch seiner Jane etwas gelang, das
ziemlich außergewöhnlich auf dem Musikmarkt ist: Nicht nur
grottenschlecht zu singen, sondern die falschen (und vor allem häufig
mangels Stimmvolumen und Atemstütze komplett fehlenden) Töne zu
einem derartigen Markenzeichen zu machen, dass sie damit noch immer
Konzertsäle füllt und die Leute sagen „Ach das ist die Frau, die
überhaupt nicht singen kann, die ist toll, die mag ich!“ (Ich mag
sie übrigens auch )). Abgesehen von der verbrahmsten Dritten (die
bei den Gainsbourgs übrigens „Baby alone in Babylon heißt), wird
man, so man denn nach großen Vorbildern sucht, bei den beiden
mehrfach fündig. Die Frage, ob es sich bei dem Songwriter um ein
musikalisches Genie handelt, der seine Vorbilder durchaus gut zu
zitieren und zu „pastizieren“ (pasticcio) weiß, oder schlicht um
einen Säufer, der von Plagiaten lebt, haben sich schon eine Menge
Musikschriftsteller gestellt, wobei ich persönlich allerdings
überzeugt bin, dass Leute wie Chopin (Präludium n° 4 ) oder
Antonin Dvorak (Symphonie n°9 "Aus der Neuen Welt)"
(die ebenfalls nicht unbenutzt blieben) durchaus interessiert
gewesen wären, sich vielleicht ein bisschen zum Jammen
zusammenzufinden. Allenfalls Beethoven (Klaviersonate n°23
in f-Moll "Appassionata" op57 n°2) hätte sich
vielleicht geärgert, was aber eher seiner „Raptus“-Natur
geschuldet wäre, als einer schlechten Bearbeitung.
Spannend
ist meiner Meinung nach auch das textlich recht tiefgründige „Fuir
le Bonheur de Peur qu'il ne se sauve“ („Vor dem Glück
davonlaufen, aus Angst, es irgendwann wieder zu verlieren“), das
ein Präludium von Johann Sebastian Bach zum Vorbild hat (Präludium
in C-Dur, BWV 849), aber so geschickt bearbeitet
wurde, dass das „Original“ auf den ersten Blick zwar zu „fühlen“,
aber nicht zu erkennen ist. Während die Gruppe „The Toys“ in den
1960ern mit „A Lover's Concerto“ kein Problem damit hatte, die
Melodie von Bachs (beziehungsweise Petzolds) Menuett in G (trotz
Veränderung des ursprünglichen ¾ – in einen
Bubblegum-pop-geeigneteren 4/4-Takt) in aller Deutlichkeit mit einem
Text zu versehen, der irgendwie und irgendwo Seinesgleichen sucht
(und hoffentlich nicht findet! Ich übersetze hier mal schnell: „Wie
zart ist der Regen, der sanft auf die Wiese fällt? Die Vögelein
hoch oben in der Luft besingen die Blümchen mit ihren Melodien“
Hui Leute, ich brauche ein Stück trockenes Brot. Offensichtlich
fehlt mir jeder Sinn für Romantik!), veränderte Gainsbourg das
Metrum in einer Weise, die eine Zuordnung Dank der sich damit
ebenfalls verschiebenden Schwerpunkte zumindest nicht ganz so
offensichtlich macht: Der regelmäßige Vierertakt des Präludiums
wurde zunächst einmal auf einen 8/4-Takt augmentiert, dann durch
gezielte Amputation der von Gainsbourg wohl als überflüssig
empfundenen Noten auf einen 5/4-Takt reduziert und schließlich
durch Überbindungen in jedem 2. Takt endgültig verkleidet. Wer die
Kostümierung kennt, wird den Elefanten unter dem Giraffenkostüm
erkennen, wer nicht weiß, was hier geschehen ist, wird sich
vermutlich ein Leben lang fragen, weshalb er diesen Chanson nicht
mehr aus der Birne bekommt, und wo er ihn schon einmal gehört haben
könnte. Clever gemacht, kann ich da nur sagen.
Mal
kurz zum Vergleich: Das hier ist die Petzold-oder-Bach-Komposition,
die „es Magdaleensche“ in ihr Notenbüchlein geschrieben hat
die „es Magdaleensche“ in ihr Notenbüchlein geschrieben hat
und
hier haben wir die Bubblegum-Version der „Toys“
Verglichen
damit, das Präludium in C aus dem Wohltemperierten Klavier
und
Serge Gainsbourgs „Fuir le Bonheur de Peur qu'il ne se sauve“
(gesungen übrigens von Jane Birkin)
(gesungen übrigens von Jane Birkin)
Und
für alle die, die auch das Gebrahmse noch nicht kennen, hier hätten
wir den dritten Satz der Sinfonie: und hier das Baby aus
Babylon
Nun
war es in den experimentierfreudigen 60er Jahren des letzten
Jahrhunderts ja ziemlich trendy, rockige Songs mit Zitaten oder
anderen Elementen klassischer Musik zu versehen. Während Serge in
Frankreich das große Kettenrauchen-Massaker veranstaltete und seine
Frau ins Mikro stöhnen ließ, eroberte in den USA der sogenannte
Classic Rock (Später, als man unter Classik Rock den „typischen“,
cleanen oldschoolmäßigen Rocksound zu verstehen begann,
werbewirksam umbenannt in „Progressive Rock“) die Bühnen. Bands
wie Emerson, Lake and Palmer oder auch Ekseption verbrieten Bachs
(schon wieder der alte Jojo, dessen Mugge wird aber auch keine Ruhe
gegönnt)Toccata und Fuge in d-Moll (Jahre bevor Sir Andrew sein
Opernphantom damit auf, bzw. unter die Bühne schickte) und andere
Werke zu einem Rockabkömmling, der sich durch die tatsächlich
„progressive“ (oder sollte man es in diesem Fall lieber
„regressive“ nennen?) Gestaltung auszeichnete: Mit einem simplen
Vierertakt und Harmonien auf der Basis einer einfachen Kadenz
(Tonika, Subdominante, Dominante und dann schnell ab ins Körbchen
zur Tonika zurück) kommt man bei dieser Art der Musik nicht mehr
aus. Dazu braucht es Taktwechsel, Modulationen, ungerade Metren...und
Printleggins mit Blümchenmuster. Oder einen Synthesizer vom Ausmaß
einer Silbermann-Orgel. Ein Hörbeispiel (samt Blümchenleggins)
verlinke ich hier-
Und
auch wenn der gute Herr Mercury mit seinen Glitzeroutfits eher der
wunderbaren Welt der Glamrock-Ecke entstammt, lässt sich Queens
„Bohemian Rhapsody“ problemlos dem Progressive Rock zuordnen.
Mamma mia, let me go!
Parodien,
also Selbstzitale gibt es in der Popmusik übrigens ebenso wie in der
sogenannten „ernsten“ Musik (dass ich den Ausdruck nicht leiden
kann, dürfte mittlerweile bekannt sein, gerne verweise ich immer
wieder auf das folgende Beispiel: Klick ),
nur seltener sind sie geworden, da sich das Selbstverständnis der
Musiker (die sich im Laufe der Zeit immer weniger als Handwerker, die
auch mal einen Hieb zweimal ausführen können, denn als Künstler
sahen), sowie die Aufführungs- und Aufzeichnungstechnik (kurz: Die
Rezeption) stark veränderten und es Zuhörern schlichtweg unangenehm
aufgefallen wäre, wenn sie alle Nase lang dasselbe Musikstück mit
einem neuen Text versehen wieder aufs Brot geschmiert bekommen hätten
(dafür haben wir ja heutzutage die Coversongs, in denen die
Drogenhändler Traktor fahren und Kühe heiraten oder so ähnlich).
Während also Leute wie Bach fleißig ein Weihnachtsoratorium aus
einer Kiste voll abgespielter Kantaten zusammenklebten (und dabei
versehentlich sogar den falschen alten Text mit abschrieben, wie es
Bach tatsächlich passiert ist – das entsprechende Beweispapier
findet sich im Bachmuseum in Leipzig), verarbeiten heute Künstler
wie Sting ihre eigenen Songs wie Bäcker ihre Brötchen von
Vorgestern. Allerdings eben nicht einfach zu neuen, gleich anmutenden
Brötchen, sondern zumindest zu „Granatsplittern“ oder
„Punschkuchen“.
Oder eben „Everybody laughed but you“ zu
„January Stars“, zitieren ihre eigenen Bassriffs (das Ende von
„When we dance“ wurde zum ostinaten Basslick in „All four
Seasons“) oder besinnen sich des Zitates und verarbeiten sowohl
Sergej Prokofieff als auch Hans Eissler auf ein und demselben Album
(nämlich hier und
hier). Dass auch Sting und die Cello-Suiten (na, von wem werden die denn mal wieder sein? Ob Anna Magdalena Wilke damals wusste, dass sie sich mit dem Mann einließ, der einmal zum wohl meistgecoverten Musiker aller Popzeiten aufsteigen würde?) eine besondere Beziehung zueinander haben, lassen wir an dieser Stelle einmal gekonnt unter den Tisch fallen, ok? Sonst kommen wir nämlich nie zu einem Ende.
Tja,
und damit verabschiede ich mich ebenfalls mit einem Zitat (das
wahrscheinlich alle kennen, die in den 70-er Jahren einen Fernseher
besaßen), das gleichzeitig wohl eine ganz gute Erklärung für die
ganze Zitiererei darstellt und sage: Da weiß man, was man hat. Guten
Abend.
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