Alle meine Zipperlein - Musikerkrankheiten
Man
stelle sich die folgende Situation vor: Ein kleiner Junge kommt vom
Geigenunterricht nach hause und erklärt stolz, er wolle eines Tages
Musik studieren und ein großer Geiger werden, so etwas wie der
Paganini seiner Zeit.
Am
nächsten Tag sitzt er in der Hofpause mit seinem Freund aus dem
Schulorchester zusammen und erzählt, seine Mutter habe ihm gedroht,
ihn aus dem Orchester zu nehmen, wenn er nicht auf der Stelle damit
aufhöre, so einen Blödsinn zu erzählen und gefälligst mehr für
die Schule täte. „Kenn ich“, antwortet daraufhin sein Freund,
„Meine Alten sind genauso. Ich darf auch nur ne halbe Stunde pro
Tag üben, Klavier nur am Wochenende und ich soll mir gefälligst
endlich mehr Hip Hop anhören, Mozart sei einfach kein guter Einfluss
für mich. OK, Mann, ist ja auch irgendwie klar, wenn man bedenkt,
wie hart der schon als Kind trainiert hat. Kein Wunder, dass er nicht
alt geworden ist.“
Massenweise
Eltern, die ihre Kindern anflehen, sich doch lieber einen
anständigen, weniger gefährlichen Beruf zu suchen,
Kriminalkommissar zum Beispiel, Stuntfrau, Blauhelm,
Rennfahrerin...Hauptsache etwas, bei dem man die Versicherung noch
bezahlen kann.
Das
klingt absurd? Würden sich nicht alle Eltern über fleißig übende
Kinder freuen? Wahrscheinlich wären diese naiven „Freu-linge“
das dieselben Eltern, die der Meinung sind, klassische Komponisten
seien gute Vorbilder für ihre Kleinen...solange, bis man anfängt,
mal aufzuzählen, wer alles sein Studium abgebrochen hat (Friedemann
Bach, Robert Schumann, diese Liste ist wahrscheinlich die längste
überhaupt), an Geschlechtskrankheiten gelitten hat oder gestorben
ist (mal wieder Schumann, Schubert...die Liste ist kaum kürzer),
Alkoholiker war (der Friede mal wieder, Beethoven und Consorten),
dass Johann Sebastian Bach im Gefängnis saß, Händel sich duelliert
und fast seinen besten Freund getötet hat, Schumann nicht mehr alle
Noten im System hatte und in der Irrenanstalt gestorben ist...
Kinder, hört Heavy Metal, da sterben die meisten Künstler
wenigstens bei Autounfällen, das bringt einen bei den Nachbarn nicht
so ins Gerede...
Nein,
mal ernsthaft: Musiker leben tatsächlich gefährlich und
Krankenversicherungen liegen Listen mit Berufskrankheiten der
einzelnen Instrumentalisten vor. Wer im Orchester jahrelang direkt
vor den Posaunen sitzt, wird eines Tages wirklich nur noch
schriftlich kommunizieren können, denn zum Hören reicht es nicht
mehr.
Werfen
wir doch mal einen Blick auf die Zipperlein, auf die wir uns in den
kommenden Jahren so einstellen müssen. Wenn sie nicht schon längst
eingetroffen sind. Dass Cellisten irgendwann ein Problem mit der
Halswirbelsäule bekommen, kann ich beispielsweise bestätigen: Jedes
Mal wenn ich den Kopf drehe, kracht es im Getriebe, dass meine
Umgebung vor Schreck beinahe vom Hocker fällt. Aber dass ich einen
Knacks habe, ist ja nichts Neues....
Dass
man als Orchestermusiker beispielsweise bei einer Wagneroper, bei
Philipp Glass' Echnaton oder anderer Musik dieser Spieldauerkategorie
einen Energieaufwand betreibt, der mit dem eines Leistungssportlers
gleichzusetzen ist, mag einleuchten, dass man sich dabei allerdings
einem ähnlich hohen gesundheitlichen Risiko aussetzt, dürfte den
meisten Leuten kaum bewusst sein.
Dabei
ist die Liste der Musikerkrankheiten nicht nur lang, sondern auch
erstaunlich gut nachvollziehbar.
Dass
man sich als Cellist ziemlich schief um sein Instrument herumwindet
und seine Wirbelsäule dadurch unschön belastet, habe ich am eigenen
Leib erfahren. Dass Querflötisten auf Dauer einen scheppsen Hals
bekommen, wenn sie ihren Kopf stundenlang zur Seite neigen, kann man
sich auch vorstellen, der Klarinetten-Daumen war jedoch auch mir
vollkommen neu: Arthrose im rechten Daumen, hervorgerufen durch das
Gewicht des Instrumentes, das im Grunde genommen alleine von diesem
Daumen gehalten wird, denn die anderen Finger müssen ja frei
beweglich und daher locker auf Klappen und Löchern aufliegen und
diese wieder verlassen können. Rund 750 Gramm wiegt so eine einfache
Feld-Wald-und Wiesenklarinette (wir sprechen hier also nicht von
ihren großen Verwandten, die noch so einiges mehr auf die Waage
bringen). Wer zuviel Zeit und noch Spielraum von seiner Krankenkasse
hat, kann sich ja mal spaßeshalber einen Humpen voll Bier an seinen
Daumen hängen und täglich stundenlang damit herumrennen. Vermutlich
wird er schon am folgenden Tag keinen Bleistift mehr geradehalten
können.
Auch
Gebissschäden sind bei Bläsern nichts Ungewöhnliches. Wer die
Sendung „Was bin ich?“ noch kennt, kann sich vorstellen, wie
einfach es wäre, manche Berufe zu erraten. Da kommt also ein Typ
ohne Vorderzähne, krallt sich mit der linken Hand einen Stift, um
seinen Namen auf die Tafel zu krakeln, weil er mit rechts schon lange
nicht mehr schreiben kann... welches Schweinderl er gerne hätte, das
bräuchte er gar nicht mehr zu beantworten, da die erste Frage „Sind
sie vielleicht Klarinettist?“ ohnehin ein Treffer wäre und er ohne
ein einziges Fünfmarkstück nach hause gehen müsste. Und das,
nachdem man als Musiker sowieso nicht gerade im Geld schwimmt...
blöde Berufswahl!
Da
hat man es als Geiger doch leichter...da kann man sich aussuchen, ob
man mit oder ohne Schulterstütze und Kinnhalter spielen will und hat
somit die Wahl zwischen dem offenbar musikertypischen Schiefhals oder
irgendwelchen Ekzemen und Hautreizungen. Man kommt nicht umhin, sich
zu fragen, ob es ein Geiger und ein Flötist jemals schaffen würden,
sich zu küssen, wenn sie mit ihren schiefen Hälsen voreinander
stehen. Nicht einmal die Liebe überlebt also, im Reich der schönen
Klänge.
Was
es nicht alles gibt, nicht wahr? Pianistenfinger, Cellisten mit
krummen Hälsen, Knötchen auf den Stimmbändern, Geigerarme....
Lully hat sich sogar mit seinem eigenen Taktstock ins Grab befördert
Wer kennt die Geschichte? Da geht ein Mann in der Nähe einer
Tennisanlage spazieren und findet 2 fast neue Tennisbälle, die
jemand über den Zaun geballert hat, steckt sie jeweils in eine
Hosentasche und geht weiter. Nach einer Weile trifft er auf einen
weiteren Spaziergänger, der ihm entgeistert auf die Ausbuchtungen in
der Hose starrt. „Ach das“ meint er beschwichtigend, „das sind
nur Tennisbälle“. Darauf der andere Spaziergänger: „Ach Du
meine Güte... und ich dachte schon, mein Klarinettendaumen wäre
schlimm!“
Da hinten schleicht sich ein Löwe heran :D
Spannend zu lesen (so als Nicht-Msuiker bzw. nur Gelegenheits-Hobby-Musikmacher), was es alles für Probleme geben kann. Und sehr amüsant geschrieben!
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