“Weiberkram Musiksoziologie”, oder: Warum Frauen immer alles verstehen müssen
“Historische Musikwissenschaft”
musste ich mir neulich anhören, “das ist ja mal wieder ganz
typischer Weiberkram. Von Musiksoziologie will ich mal gar nicht
reden. Passt zu Dir. In den Privatangelegenheiten toter Komponisten
rumzuschnüffeln, statt mit Zahlen zu hantieren!”
So, Herzchen, jetzt pass mal auf: Mal
ganz abgesehen davon, dass Du es mit Deiner sytematischen MuWi auch
nicht gerade zum Raketenwissenschaftler bringen würdest, bis 8 kann
ich nämlich auch noch zählen, statt wie ein Mathematiker halbwegs
reale Zahlen zu verwenden, kommst Du mir hier mit kleinen und großen
Dreiern und verminderten Siebenern an... und was bitte hat denn die
Frage danach, wie Beethoven von seinen Zeitgenossen aufgenommen
worden ist, mit Privatsphäre zu tun? Oder die Frage nach den
Aufführungsmöglichkeiten, Publikumsschichten, oder den
Zeitgeschmack beeinflussenden politischen Entwicklungen?
“Ja, Klar”, heißt es, “Nun wird
also die Rolle des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft beleuchtet.
Hauptsache, Ihr habt irgendwo ein “Sozio” im Namen, oder?
Musiksoziologie, sozialgeschichtliche Musikrezeption,
sozialverträglichkeit der Kompositionsgeschichte...”
“Soziopath hat auch ein Sozio im
Namen” denke ich, während ich mich krampfhaft bemühe, mich so
wenig wie möglich zu bewegen, damit mir nicht das festbetonierte
Lächeln aus dem Gesicht fällt und womöglich am Boden zerschellt.
Das brauche ich nämlich noch für ein paar andere Besserwisser.
“Wusstest Du eigentlich” nölt er
weiter, “dass über 2/3 der Sozialpädagogen weiblich sind, aber
nur ein verschwindend kleiner Anteil davon in diesem Bereich auch
Karriere macht? Aufwärts gehts es dabei nämlich auch nur für die
Männer, weil die sich nicht gleich jeden Komplex zu eigen machen,
von dem sie im Laufe ihrer Arbeit hören oder lesen.”
Nein, Komplexe hat der systematische
Herr Klugscheißer nicht. Aber dafür noch ein paar Rundumschläge im
Repertoire. “Warum eigentlich nicht gleich Musikpsychologie? Hat
Dein Friedemann unter seinen 19 Geschwistern Probleme bei der
Ichfindung gehabt? Hatte sein Papa nicht genügend Zeit für ihn? So
zwischen Toccata und Fuge?”
Wenn man ernsthaft erwägt, das
Instrument zu wechseln, weil es sich mit einer Geige ganz einfach
viel besser zuschlagen lässt, als mit einem Konzertflügel,
dann...ja dann sollte man sich kurz entschuldigen, den Raum
verlassen, einen grünen Tee trinken und dem Portrait auf dem Cover
der Wilhelm Friedemann Bach CD, die neben dem Computer liegt,
beruhigend über die Wange streicheln und schwören, ihn zu rächen,
sobald sich eine halbwegs legale Möglichkeit dazu bietet.
Nun aber mal abgesehen von persönlichen
Animositäten... sind wir Frauen tatsächlich anfälliger für den
ganzen Soziokram? Wollen wir wirklich immer alles verstehen (und wenn
wir das nicht täten: Gäbe es dann überhaupt noch Männer auf
dieser Welt, oder hätten wir sie längst ausgerottet)? Oder fallen
wir in diesem Bereich ganz einfach nur ein bisschen mehr auf als beim
Intervallezählen, ganz einfach, weil es bei allem, was irgendwie mit
Geschichte zu tun hat, auch immer ein Stück weit um die Rolle der
Frau in ihrer Gesellschaft geht?
Wer über Fanny Mendelssohn-Bartholdy/Hensel schreibt, wird nicht umhin kommen, zu erwähnen, was
für einen Glücksgriff die Gute mit ihrem Gatten getätigt hat, der
ihr nicht nur erlaubte, weiterhin zu komponieren, sondern sie sogar
dabei unterstützte. Bei den Schumanns und Mahlers, bei denen die
Frauen mindestens ebenso begabt waren, wie ihre Männer, sah die
ganze Geschichte schon erheblich anders aus. Während Mahler das
Ansehen von Almas Kompositionen ganz einfach nur so lange aufschob,
bis er selbst keinen Aufschub mehr bekam und Tadzios altem Verehrer
in die ewigen Kompositionsgründe folgte, war Schumann da rigoroser
und sprach ein Antiweiberkompositionsmachtwort. Nicht mal üben
durfte die Arme, während er an seiner Sinfonie schrieb, die er dann
allerdings zu seiner Ehrenrettung auch relativ fix über die Bühne
bekam.
Wie auch immer, wir werden kaum eine
Biografie finden, in der ausdrücklich erwähnt wird, wie nett es von
Constanze Mozart war, dass sie ihrem Wolferl erlaubte, weiterhin zu
komponieren, anstatt einem ordntlichen Beruf nachzugehen oder sich um
die Kinder zu kümmern, denn immerhin war sie selbst ja Sängerin und
verdiente Geld. Die Anna Magdalena Bachin übrigens auch. Und das
nicht schlecht. Immerhin war sie die Person mit dem zweitbesten
Gehalt unter den köthener Hofmusikern. Dass sie später nicht mehr
regelmäßig singen konnte, lag allerdings eher an der Tatsache, dass
es in Leipzig, wohin die Familie übersiedelte, einen Knabenchor gab,
der dem Herrn Gatten unterstellt war, und in welchem Weibsvolk in
etwa soviel zu suchen hatte, wie bei einer Steinigung zur Zeit des
Brian von Nazareth. Auch wenn die Musikologen der Welt bei so manchen
Stücken, die angeblich aus der Feder ihres Gatten Johann Sebastian
stammen, rufen “Sie war's, sie war's!” “Nein, er war's, er
war's!”
Gehen wir doch mal für einen kurzen
Augenblick davon aus, dass Männer und Frauen trotz unterschiedlicher
Verbindungen der Gehirnhälften, Verschiedenheiten im Körperbau und
meinetwegen auch unterschiedlicher Interessen (jup, Fußball
interessiert mich nicht die Bohne. Dafür mag ich alles, was
irgendwie glitzert und räume ungefähr alle 20 Minuten die gesamte
Wohnung um. Einschließlich beider Klaviere....wieder etwas, was mit
einer Geige bedeutend einfacher wäre...) trotzdem einigermaßen
gleich begabt sind und somit auch gleich gute Komponisten wären (was
die Menge an Komponistinnen des 20. und 21. Jahrhunderts wohl
ausreichend belegt). Dann nennt mir doch einmal ohne groß
nachzudenken fünf Komponistinnen vor 1800. Ok, dann eben vier. Drei
müssten hinzukriegen sein, oder? Ich nenne mal eine ganz frühe
Vertreterin: Hildegard von Bingen, die neben der Komposition auch
noch so ziemlich alles andere auf dem Kasten hatte, was damals (1098
– 1179) so notwendig war. Und dann? Die Fanny hatten wir bereits
abgefrühstückt, die war auch nicht vor 1800...dann wird es schon
einigermaßen eng, nicht wahr? Anna Amalia von Preußen wäre noch zu
nennen, die verfügte allerdings auch über das nötige Kleingeld, um
sich die besten Lehrer zu leisten, und über genügend Autorität,
um kein “Spinnst du?” zu riskieren. Die Flamen können noch mit
Leonora Duarte aufwarten, von der allerdings bis auf eine Handvoll
kleiner Gambenstücke nichts erhalten geblieben ist. Und die Frau
Auenbrugger? Und dann? Dann ist irgendwie schon Schicht im Schacht.
Und das verstehe, wer will. Denn zumindest mitschreiben hätten die
Ehemänner ja können, wenn die Dame des Hauses den Kindern ein
Schlaflied vorspielt, Oder wanderten diese dann unter seinem Namen
ins Repertoire? Womit wir wieder bei der Steinigung mit “Sie war's,
er war's” und den falschen Bärten wären.
Da bin ich dann schon ganz froh, in
einer Zeit zu leben, in der ich schreiben und komponieren kann,
soviel ich will. Selbst wenn, und ich möchte, dass das absolut klar
ist, selbst wenn irgend jemand Jehova sagt! Klick
Falls sich übrigens jemand fragen
sollte, weshalb ich zwei Klaviere in meiner Wohnung beherberge: Eines
ist alt und krank und kann nicht mehr richtig bespielt werden. Aber
es hat Charakter und einen Namen (es heißt “Hektor” :) ) und ich
habe es lieb und würde es niemals in ein Heim geben. Ja. Ich bin ein
Mädchen. Und versuche immer, alles und jeden zu verstehen sogar ein
altes Klavier. Und sozialpianistisch eingestellt bin ich auch. Und:
Ich bin stolz darauf!
Theatergarderobe. Dahinter gab's nen Riesenteller Obst und Schnittchen!
Gastspiele sind die besten :D
Nein, das ist kein Kindle...das ist ein original elizabethanischer Teleprompter :)
Es gibt schon noch ein paar weitere Komponistinnen vor Johann Sebastian Bach (von denen ich Musik gehört habe, und mir gefallen):
AntwortenLöschenFrancesca Caccini (* 18. September 1587 in Florenz; † 1640 ebenda)
Isabella Leonarda (* 6. September 1620 in Novara; † 25. Februar 1704 ebenda)
Chiara Margarita Cozzolani (* 27. November 1602 in Mailand; † zwischen 4. Mai 1676 und 20. April 1678 ebenda)
Élisabeth-Claude Jacquet de La Guerre (geb. Élisabeth Jacquet; getauft 17. März 1665 in Paris; † 27. Juni 1729 in Paris)
Kassia (auch Cassia oder Kasia, mittelgriechisch Κασσιανή * um 810 in Konstantinopel; † um 865)
Barbara Strozzi (getauft 6. August 1619 in Venedig; † 11. November 1677 in Padua)
Das sind 6 gegenüber 270 Männern aus dem selben Zeitraum (= geboren vor dem 21. März 1685).
Seit JSB's Zeiten holen die Damen aber heftig auf...
Hallo und danke für die Information! Ein paar der Damen waren mir tatsächlich bis dato unbekannt, da muss ich schnellstens aufholen :)
AntwortenLöschenDein Kammermusikblog gefällt übrigens sehr gut, Du hast also eine Leserin mehr. LG