Ein Klavier, ein Klavier!
“Was ist das?“ fragte mein Musiklehrer in der 6. Klasse (ja genau der Kerl mit den
Schrumpfkopfnotenund den durchstochenen Augäpfeln bei der Bachbiographie) und
hämmerte in die Tasten, dass die Noten nur so stoben.
Ich
habe nicht die geringste Ahnung, was er damals gespielt hat,
vermutlich hatte die gesamte Klasse keinen Schimmer von der ganzen
Sache, aber eines hatten wir: Das, was die meisten pubertierenden
Zwerge haben:Chuzpe. „Ein Klavier“ rief M. Und hatte damals erst
mal die Lacher auf seiner Seite, was der Herr K. Natürlich nicht
zulassen konnte. „Nein!“ konterte er bestimmt. „Das ist ein
Flügel!“
Und
nun? Wer hatte nun recht? Irgendwie ja alle beide, obwohl sie
einander in dieser Sache widersprachen. Herr K. hatte insofern recht,
als wir den Ausdruck „Klavier“ landläufig für ein Pianino
verwenden, er selbst aber auf einem Konzertflügel spielte.
Andererseits handelt es sich bei dem Begriff „Klavier“
(„Clavier“) genaugenommen um einen Oberbegriff für sämtliche
Instrumente, die über eine Klaviatur verfügen und das schließt
sowohl das Piano mir den aufrecht stehenden Saiten, als auch seinen
großen Bruder, den dicken schwarzen „Schimmel“ (finde das
Paradox... ) aus unserem Musiksaal mit ein.
Auch
wenn wir heutzutage hauptsächlich diese beiden Tasteninstrumente in
unseren Räumen stehen haben: Die Liste der Klaviere ist lang, die
Instrumentenfamilie in etwa so groß wie die Bachfamilie, sollte man
auf die Idee kommen, eine Familienfeier zu veranstalten, empfiehlt es
sich, einen großen Saal zu reservieren. Alleine die
Hammerklaviertypen gab es in Bauweisen, die unsere Pianinos- obschon
sie die weitaus jüngeren Instrumente sind – ziemlich alt aussehen
lassen. Dasselbe gilt für den Klang, der bei den kürzeren Saiten
eines modernen Wohnzimmerpianos, einem langsaitigen Flügel gegenüber
erheblich an Fülle eingebüßt hat. Frühere Klavierbauer lösten
das Platzproblem, das so ein voll ausgewachsener Flügel mit sich
brachte, auf weitaus kreativere Art und Weise: Nach derselben
Methode, mit der man möglichst viele Menschen auf möglichst wenig
Grundfläche unterbringt -indem man Wolkenkratzer in die Höhe baut-
stellten sie das Klavier ganz einfach die Wand hoch. Ein Beispiel für
eines dieser Platzwunder war das Giraffenklavier. Quasi ein an die
Wand gefahrener Flügel. Das Ganze sah ein wenig so aus, wie ein mit
Hammermechanik ausgestattetes Harfenklavier, welches seinerseits ein
seltsames Hybridwesen war: Sein Papa war gewissermaßen ein Klavier,
seine Mama hingegen eine Konzertharfe. Heraus kam eine Tastenchimäre,
ein Mischlingswesen, das sicherlich im Instrumentenkindergarten
ausgelacht wurde und niemals mitspielen durfte. Armer Kleiner.
Sah
das Harfenklavier aus wie eine Harfe, können wir uns die Form eines
Lyraklaviers wahrscheinlich in etwa vorstellen: Jup, richtig geraten,
es ist der Form einer Lyra -also einer Leier- nachempfunden.
Troubadix hätte vermutlich auf der Stelle zu sparen begonnen, wenn
es das Instrument zu seiner Zeit bereits gegeben hätte, aber wie
beim nach einem ähnlichen Prinzip aufgebauten Pyramidenflügel,
beziehungsweise eigentlich den meisten leicht überkitscht wirkenden
Tasteninstrumente im „Retro-Style“, mit Intarsien und Schnörkeln
an den Beinen, handelt es sich um eine Biedermeierspielerei. Hätte
es damals feine Damen mit Youtubekanälen gegeben, die sich per
Videotutorial gegenseitig ihre neuesten Flechtfrisuren präsentiert
hätten, hätten sie es vermutlich an einem Schminktisch getan, der
gleichzeitig als Klavier fungiert, denn Klavierspielen war bei
Mädchen aus gutem Hause ebenso en Vogue wie eine nette Frisur und
ein Kleid mit Empiretaille.
Es
sind die Zeiten der Umbrüche, Neuerungen, politischen Wirrungen, in
denen sich der Mensch nach dem Althergebrachten, "Gediegenen",
einfacher ausgedrückt: Nach der trügerischen Sicherheit vergangener
Zeiten (die Erde dreht sich noch, ergo kann die Welt damals nicht
untergegangen sein) sehnt. Das Höhlenleben oder irgendwelche
schlecht geheizten zugigen mittelalterlichen Trutzburgen erscheinen
einem dann ganz ungeheuer romantisch und erstrebenswert. Freilich
nur, solange man sich vom eigenen Sofa, am besten mit einer Tasse Tee
in der Hand und einer Suppe auf dem Herd damit beschäftigen kann.
Lesen fördert bekanntlich die Phantasie und so kann man sich,
während die politischen Probleme der Zeit den Alltag beherrschen,
wenigstens in der Freizeit in ein von bösen Zauberern belagertes
Märchenschloss oder gleich ins Auenland träumen - Während die
napoleonischen Kriege und die darauf folgende Restauration über das
Land zog, ließ man die Gebrüder Grimm ihre Märchensammlungen
anlegen, baute sich Klaviere nach den Formvorbildern antiker
Instrumente, und spielte das, was man für echte, unverbrauchte
Volksmusik hielt. Auf dem Lyraklavier. Oder dem Pyramidenklavier.
Oder auf dem alten Instrument mit Janitscharenzug, auf dem sich schon
die Großmutter den Orient ins Haus geholt hatte, ohne ihr sicheres
gutbürgerliches Wohnzimmer (das ebenfalls eine Mode der Zeit ist) zu
verlassen.
Wer
sich übrigens schon einmal über die Angewohnheirt gewundert hat,
Spiegel über die niedrigeren Tischklaviere und Pianinos zu hängen:
Auch dieser Trend entstammt dem Biedermeier, als die Töchter
klimpern lernten, und diente dazu, sein Gesicht während des Spiels
von Zeit zu Zeit zu überprüfen und gegebenenfalls wieder auf
Werkseinstellung zurückzusetzen, denn verbissene Grimassen, während
des Übens schneller Läufe und anderer schwieriger Stellen waren
nicht "niedlich", somit unweiblich und abzulehnen. Da
wusste man wenigstens, was man tun musste, um anzukommen. Nett
lächeln. Wobei das auch heute ein paar Menschen nicht schaden würde,
immerhin soll das ja auch umgekehrt einen positiven Einfluss auf die
Laune haben.
Insgesamt
scheint es den Klavieren an sich nicht vie anders zu ergehen als den
Menschen, die sie spielen: Sie unterliegen Trends und Moden, werden
mal schlanker, mal größer gewünscht, sollten stets guter Stimmung
sein und am Ende zählen dann doch nicht die Äußerlichkeiten,
sondern die inneren Werte, denn da spielt ja bekanntlich die Musik.
Was also steckt im Inneren eines Tasteninstrumentes? Womit wird der
Ton tatsächlich erzeugt? Haben die tatsächlich alle einen Hammer,
oder gibt es auch ein paar, die sich gewissermaßen gerne einen
blasen lassen? (Orgel oder oder Harmonium fallen beispielsweise unter
diese Kategorie) Ist ein Spinett einfach nur ein quergestreiftes
Cembalo? Wenn es so viele Klavierformen gibt, welches Instrument
hatte der alte Bach eigentlich im Sinn, als er sein wohltemperiertes
Klavier schrieb? Und: Ist so eine Melodica eigentlich ernsthaft ein
Klavier oder doch nur eine sehr laute Methode, unreflektiert in ein
Rohr zu pusten und sich zeitgleich durch das permanente Schielen auf
die Tastatur eine Augenmigräne zu holen?
Rollen wir die Sache mal von
hinten auf: Jup, die Melodica bringt mit Hilfe des Luftstroms
Metallzungen zum Schwingen, ist, Dank der ebenfalls vorhandenen
Klaviatur, ergo ein Harmonium im Westentaschenformat und somit,
gemeinsam mit seinem Bruder, der Quetschkommode, ein Klavier.
Wennauch ein ziemlich schreckliches.
Bach
allerdings hätte sich angesichts der Idee, das wohltemperierteKlavier auf diesem Pustefix zu spielen, vermutlich krank gelacht.
Erstens kannte er das Ding noch gar nicht, denn die heutige Melodica
wurde erst in den 1950er Jahren erfunden, und zweitens gestaltet sich
das Spiel auf mehreren Tasten als relativ schwierig. Und auch, wenn
erstzunehmende Komponisten wie beispielsweise Steve Reich tatsächlich
für Melodica komponierten, hätte man seine Probleme mit dem
bachschen Werk.
Für
das moderne Klavier wurde es vermutlich ebensowenig geschrieben,
obwohl es sich auf dem Piano natürlich wunderbar spielen lässt,
aber der gute Jojo hatte so seine Probleme mit dem Hammerklavier.
Während sein Sohn Carl Philipp Emanuel gerne dafür komponierte,
fand Papa bach das Ding ganz einfach unschön im Klang und blieb
lieber bei seinem Cembalo, das im Übrigen tatsächlich die
Konzertvariante des Spinetts ist (bei welchem, wieauch beim Virginal)
die Saiten deutlich platzsparender angeordnet sind. Bei diesen Instrumenten werden die Saiten auch nicht angeschlagen, sondern
angezupft, was allerdings die Dynamit deutlich einschränkt. Jeder,
der sich schon einmal geprügelt hat, weiß, dass es Schläge gibt,
die man eher erträgt, da sie deutlich sanfter sind, und Schläge,
bei denen man die Sterne sehen kann. So oder so ähnlich geht es auch
dem armen Klavier, also überlegt euch zukünftig, was ihr ihm antut
mit eurer Tastendrescherei (ok.... vergesst das). Was bleibt? Die
Orgel? Immerhin eines von Bachs am häufigsten genutzten
Instrumenten, aber auch diese Idee können wir vergessen, da der
Organist 3 Systeme zu lesen hat (linke Hand, rechte Hand, Fußpedale),
das wohltemperierte Klavier aber nur 2 Systeme aufweisen kann. Also
doch das Cembalo. Und darauf klingt es ja auch ausgesprochen gut.
Somit
hätten wir die meisten Varianten der Tonerzeugung auch schon
abgehakt. Was bleibt neben einigen Mischformen und Vorläufern
anderer instrumente? Das Carillon vermutlich, das nun wieder eine
ganz eigene Schiene fährt, denn hier wird über
die Klaviatur erstens ein Glockenspiel bedient und zweitens sieht die
Klaviatur mit ihren hölzernen Zapfen, auf die mit der ganzen Hand
eingedroschen wird, ziemlich eigentümlich aus.
Eigentümlich
ist allerdings mal wieder Ansichtssache, denn die heutzutage in der
westlichen Kunstmusik gängigen 12 Tasten pro Oktave sind zwar
verbreitet, jedoch nicht zwingend. Auch so ein Cembalo konnte seine
19 Tasten pro Oktave aufweisen , denn die musikalische
„Relativitätstheorie“ (e= f+b) (ich spreche hier von der
enharmonischen Verwechslung) hätte ein Renaissancemusiker vermutlich
äußerst befremdlich gefunden. Das wohltemperierte Klavier baut auf
diese Idee der „alles ein bisschen falsch, aber in sich fast sowas
wie stimmig“ - Stimmung auf, doch je reiner die Stimmung, desto
weniger e das fes. Hier ist das Cembalo Universale übrigens sehranschaulich beschrieben.
Und
wer schon einmal ein Orthotonophonium gesehen hat (zu bewundern
beispielsweise im Grassi Museum für Musikinstrumente in Leipzig),
der wird vermutlich doch erstmal Blockflöte lernen wollen. Später
kann man ja dann immer noch umsteigen. Auf die Melodica
beispielsweise.
Die Klaviere im Hause Finemang: Der alte, stets ein wenig verstimmte Hektor (ein "grumpy old man" sozusagen)Und "Junior", der irgendwie gleichzeitig auch eine Orgel, ein Cembalo und ein Kinderchor ist, je nachdem, welche Knöpfe man drückt. Nur "Melodica" habe ich im Klangrepertoire bisher nicht gefunden.
Der neue Lieblingsplatz der Miezen... solange dieses Plüschungheuer auf dem Boden lag (wie es sich für einen Teppich gehört) haben sie eine Bogen darum gemacht...kaum legte ich das Ding auf die Kommode, um besser wischen zu können, wurde es beschlagnahmt. Na gut, dann lasse ich es eben da liegen.Wie sagt man so schön? Es ist ein "Look"!
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