Irgendwie, irgendwo, irgendwann... Improvisation in der Musik
“Mach irgendwie”,das ist so eine
Anweisung, bei der sich mir Systemtante und Kontrollfreak die
Zehennägel aufrollen. Einzeln. Ich habe in England jahrelang getanzt
(Mo-Jiving, ein hierzulande nahezu unbekanntes Phänomen, das
aus einer Reihe frei kombinierbrarer Schrittfolgen besteht, über die
man sich als Dame einmal im Leben keinen Kopf zu machen braucht. Wer
die Schritte erst einmal auf dem Kasten hat, lässt sich vom
führenden Herrn ganz einfach den Arm ausreißen, bzw. auskugeln und
weiß ganz genau, wohin und wie sie ihm zu folgen hat. Endlich haben
wir mal einen Helden, der uns sagt, wo es langgeht. Zumindest so
lange niemand auf die Idee kommt, die Musik auszuschalten). Falls
übrigens jemand Erfahrung im Mo-Jiven haben sollte, kann er sich
gerne bei mir melden, meinem Cellolehrer zufolge sollteich mich
nämlich mal wieder ein bisschen herumschubsen lassen (und nein, das
ist weder Gewalt gegen Frauen, noch eine unanständige Anspielung, er
meint einfach nur, dass ich ein bisschen zu sehr Kontrollfreak über
alle meine Bewegungen bin, statt einmal nur mit dem “Flow” zu
gehen :) )
Mo-Jiving hatte ich also im Repertoire,
Salsa-Aerobic.Kurse habe ich selbst gegeben, mit ausgeklügelter
Choreografie. Step-Aerobic ebenfalls (das ist das choreografierte
Gehechte über den kleinen Kasten). Und dann stand ich eines Tages in
einem Zumba-Kurs. Als Teilnehmerin. Mit der – vermutlich beruhigend
gemeinten – Ansage, erst einmal irgendetwas zu machen. Super.
Irgendetwas bestand in diesem Fall
daraus, wie ein angeschossener Tanzbär in der Mitte herumzutorkeln
und dabei von allen Seiten umgerannt zu werden. Muss ich erwähnen,
dass ich weinend den Raum verlassen habe?
Irgendetwas habe ich in
Physik-Klausuren gemacht, indem ich einfach alle gegebenen Zahlen so
lange miteinander verrechnet habe, bis eine Zahl dabei herauskam, die
hübsch aussah, einigermaßen passen konnte oder zumindest keine 7
enthielt. Siebener mag ich aus irgendeinem Grund nicht
besonders. Tja, und irgendwie lag meine Note auch immer irgendwo
zwischen 4 und 5. Physik mochte ich vermutlich insgesamt nicht
besonders, ob mit oder ohne 7.
Irgendetwas, kann ich aus Erfahrung
sagen, funktioniert irgendwie nicht. Zumindest bei mir nicht. Weder
beim Tanzen, noch beim Singen, bzw. aktiven Musizieren. Wobei ich
zugeben muss, dass so ein bisschen Irgendwas schon ganz hilfreich
sein kann und mir auch einmal den Mo-Jive-trainierten Hintern
gerettet hat, als ich in Purcells “The Fairy Queen” auf der Bühne
stand und im Duett mit einem von Oberons Elfenpunks den Hochzeitsgott
Hymen herzizierte. Er kam nicht. Kein Wunder, denn die Tonart hatte
bereits bei den ersten Takten des Vorspiels das Narrenschiff
bestiegen und war unauffindbar davongesegelt. Und ich stand da wie
angenagelt und tat das einzige, was möglich war: Irgendetwas. Nun
ist Purcell ein freundlicher Komponist, der nicht wild mit
Koloraturen um sich schmeißt, sondern diese eigentlich nur im
Kontext, also gezielt, einsetzt. Wenn die Feen ihre “warbling
Voices” vereinen beispielsweise, dann “warbelt” auch die
entsprechende Musik. Hymen wird nicht angewarbelt, der Ruf an ihn ist
eher klar und unmissverständlich, aber so ein paar Trillerchen hat
Purcell auch uns in die Noten geschrieben, und diese kann man ganz
wunderbar nutzen, um irgendwo darin irgendeinen Ton zu finden, der
sich irgendwie passend anhört und ihn dann ganz schnell festzuhalten
und zu fragen, ob er einen heiraten will. Auf diese Weise fanden wir
also tatsächlich wieder zueinander, die Steampunkelfe und ich (jup,
die Kostüme waren ein Thema für sich...selten so eine coole
Ausstattung gehabt) und improvisierten einen gemeinsamen Suchaufruf,
bis sich der Hochzeitsgott dann endlich bequemte, genervt “I obey”
zu rufen und sich an seine Arbeit zu machen. Irgendwas kann also auch
wieder richtig sein, Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass man
a) Das Stück kennt, also weiß, wie es
sich “in richtig” anhören würde,wenn alles klappen würde.
b) Das Stück auch beherrscht. Klar,
kann man ein Tonschleifchen um den einen oder anderen Ton
herumondulieren, wenn man weiß “Der ist mir definitiv zu hoch, da
sing ich ne Terz” oder “der Triller schmeißt mich jedesmal raus,
da sing ich den Ton einfach stur durch”, aber wer sich in jeden Ton
hineinschleift, weil er ihn auf Anhieb nicht treffen würde, oder so
lange etwas vor sich hin brummt, bis er mal wieder an einer Stelle
angelangt ist, die er kann, kommt nicht zum Ziel. Ein Phänomen, das
übrigens überdurchschnittlich häufig an hohen christlichen
Feiertagen auftritt, wenn die Leute dann doch mal in die Kirche
stiefeln, die Lieder nicht kennen und auch, mangels Übung (an den
anderen Sonntagen quälen sie sich dann doch lieber nicht aus dem
Bett) nicht vom Blatt singen können. Das Ganze hört sich dann
ungefähr so an.
und
c) die übrigen Musiker auch Bescheid
wissen oder zumindest nicht alle an derselben Stelle dasselbe
versuchen, sonst klingen selbst die Wiener Philharmoniker wie
Free Jazz.
Punkt a wurde mir während eines
Lobpreisnachmittags schmerzlich bewusst. Ich bekam mal wieder meine
Lieblingsanweisung, “einfach irgendwas” zu machen, verbunden mit
der Ermunterung, ich käme da dann schon “irgendwie” rein. Und
dann...ja, dann klang es, als würde Yoda das Cello spielen. Es waren
mit Sicherheit ein paar passende Töbe darunter, aber da ich nie
wusste, wann die Akkorde wechselten und mir die Songs auch vorher
nicht hatte anhören können, war deren Reihenfolge dann doch eher
bizarr. Nennt mich einen Notensklaven, aber so ganz ohne alles
ins Wasser geworfen zu werden, klappt bei mir schon deshalb nicht,
weil ich nach den ersten drei Tönen in Panik verfalle und damit
beschäftigt bin, vor meinen Versagensängsten zu fliehen, die mir
abwechselnd “Du Loser, ist Dir eigentlich aufgefallen, dass die
anderen längst zum F gewechselt haben?” und “heul doch!”
hinterherrufen.
Mit Adorno bin ich verhältismäßig
selten einer Meinung, aber da fühle ich mich dann doch immer ein
wenig an seine Kritik am “Mach irgendwie”-Motto des
Musikunterrichts der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnert
(“Thesen gegen die musikpädagogische Musik” zu finden in der
Kritik des Musikanten), in der er meckerte “Dass einer
fidelt, soll wichtiger sein, als was er geigt!”. Dass ich mir hier
die Saiten zersägte, war klar. Was ich da spielte, blieb jedenfalls
unergründlich.
Improvisation, so paradox es klingen
mag, will gut geübt sein. Einfach mal eine zweite Stimme zu einem
Song zu improvisieren, kann ein guter Einstieg sein. Und das kann man
sogar in aller Ruhe zuhause üben, ohne dabei einen ganzen Chor aus
dem Konzept zu bringen.
Wenn es schon darum gehen muss, dass
man sofort und ohne weitere Kenntnisse einsteigen und mitmusizieren
kann, dann könnte man es ja einfach mal mit Klatschen versuchen. Ja,
sicher, wir alle kennen den einen Kerl, der absolut keinen Rhythmus
halten kann, so dass man davon ausgehen darf, dass sogar sein Herz
Rhythmusstörungen haben muss, aber im Grunde schaffen wir die Sache
mit der Klatscherei ganz gut. Das dachte sich vermutlich auch Carl
Orff, als er seine Art der Musikpädagogik, das “Schulwerk”
entwickelte. Mit Klatschen und Rasseln als Vorübung kommt man über
Klangstäbe irgendwann sogar auf Xylophone mit einer ganzen Latte von
Tönen. Meine Eltern waren große Orff-Anhänger und setzten mich
bereits vor das Xylophon, als ich noch versuchte, mir den Schläger
zur Gänze in den Mund zu stopfen und die Stäbe, die sich
herausnehmen und durch andere Ganz- oder Halbtonschritte ersetzen
ließen, in der gesamten Wohnung verteilte. Die
Halbtonschrittverteilung bei Dur- und Molltonleitern waren mir von
daher vertraut, als ich nur daran zu denken brauchte, wo bei meinem
heimatlichen Xylophon die Parodonthose ausgebrochen war.
Percussionsinstrumente finde ich hingegen noch immer cool, auch wenn
sich das Ganze bei mir auf ein paar Rasseln und Cajon beschränkt.
Klick
Der Typ mit der Gitarre ist übrigens
des Frökens Bruder, Bror Finemang also sozusagen, der, inzwischen
selbst Kindergärtner, das musizieren mit den Zwergen einst als
“akustische Hieroglyphen” bezeichnet hat. Aber in dem Alter darf
es auch noch einfach nur Spaß machen. Egal, was dabei rauskommt.
Irgendwie.
Mach irgendwie beim Sport – so
kannman sich die Anleitung sparen. Das entsprechende Studio sollte
nur einen Orthopäden auf dem Kurzwahlspeicher haben.
Vielen Dank übrigens an die nette
Julia bei Clever Fit Dresden, die die Fotos geschossen hat.
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