Alle Jahre wieder - vom Jojo-Effekt der saisonalen Gebrauchsmusik
Wenn es einen Preis
für das nervtötendste Musikstück aller Zeiten gäbe: Wer würde
ihn wohl abräumen? Und anhand welcher Kriterien ließe es sich
festmachen?
Kriterien, die ein
Musikstück außergewöhnlich machen, gibt es viele: Neuartig muss es
sein, etwas nie dagewesenes wagen, richtungsweisend sein. Beethoven
hatte so etwas wie ein Abonnement auf dieses Bewertungsmerkmal. Was
auch immer der Herr mit der Hobbitfrisur auf den Musikmarkt warf,
stieß alte Regeln um, änderte althergebrachte Schemata, setzte die
Messlatte ein Stückchen höher. Plötzlich war das ein Satz mehr als
gewohnt, ein Scherzo statt eines Trios, wurde die Tonart an bislang
nie dagewesener Stelle verlassen und wieder eingefangen...und doch
kann man sich auf einen festen Stil verlassen. Beethoven bleibt
Beethoven, er wird niemals ein stiller, zurückgezogener Komponist
sein, der ein paar vorsichtige Töne in den Raum wirft und einfach
mal zusieht, wie sie sich entwickeln. Trüge er ein Symbol statt
eines Namens, so wäre es wohl die erhobene Faust. Insofern gibt es
also auch bei den ganz Großen den einen oder anderen Faktor, der
nach einer gewissen Zeit anfangen könnte, langweilig zu werden.
Ein weiteres
unschlagbares Kennzeichen dafür, dass ein Stück (und sei es auch
noch so gut) Gefahr laufen könnte, dem Hörer auf den Wecker zu
fallen, liegt in der Art der Rezeption begründet. Wer seine
Siebensachen zusammenpackt, sich hübsch macht um dann für teuer
Geld in ein Konzert zu spazieren, wird das dargebotene Stück
vermutlich eher genießen als jemand, der sich gerade mit 3 heulenden
Kleinkindern vollgepackt durch den Supermarkt wühlt und auf den Tod
kein Tomatenmark finden kann... das sind die Augenblicke, in denen
man die Baumarktabteilung stürmen und den Lautsprechern an den
Wänden mittels einer Leiter und eines Eimers Epoxitharz den Garaus
machen möchte.
Ganz besonders beliebt sind auch die (weltweit offensichtlich nur 3) Stücke, die jeder Wellensittich in leicht verfälschter Weise auf der Ziehharmonika dudeln und uns an allerhand einstmals lauschigen Plätzchen um die Ohren hauen kann. Ob Mozarts Türkischer Marsch oder das Rennsteig-Lied...man möchte …. ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was ich da zuerst tun möchte...schön ist jedenfalls keine der Aktionen.
Ganz besonders beliebt sind auch die (weltweit offensichtlich nur 3) Stücke, die jeder Wellensittich in leicht verfälschter Weise auf der Ziehharmonika dudeln und uns an allerhand einstmals lauschigen Plätzchen um die Ohren hauen kann. Ob Mozarts Türkischer Marsch oder das Rennsteig-Lied...man möchte …. ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was ich da zuerst tun möchte...schön ist jedenfalls keine der Aktionen.
Tja, und dann kommen
wir zur Mutter aller Stressfaktoren: Weihnachtsmusik. Sicher, auch
Passionsoratorien kommen jedes Jahr wieder um die Ecke und besetzen
das Musikprogramm in Gotteshäusern und Konzertsälen, sie halten
sich jedoch zumindest weitgehend aus Ladengeschäften und
Innenstädten fern. Nicht so die Weihnachtsmusik. Ich vermute, der
Dezember ist so ziemlich der einzige Monat, in dem man mich Sätze
sagen hört, wie „Dieser Bach geht mir sowas von auf den Senkel!“.
Will Freeman aus
Nick Hornbys Bestseller „About a boy“ ist ein Mann, er es
schafft, sein ganzes Leben lang nichts zu tun und in den Tag hinein
zu dösen, da ihm der Weihnachtspopsong, den sein Vater einst schrieb
und der seitdem jeden Dezember in so ziemlich jeder Show, Kneipe und
Einkaufsmeile gespielt wird, genug Tantiemen einbringt, um niemals
selbst arbeiten zu müssen.
Der besagte Song
„Santa's Super Sleigh“ wurde extra für den Film-Soundtrack
geschrieben, basiert aber auf der Geschichte eines ganz anderen
Songs, der vermutlich mehr Stresshormone produziert, als die gesamte
Prozac-Industrie wieder ausgleichen könnte: Wham's „Last
Christmas“ aus dem Jahr 1984.
Seit mittlerweile 31 Jahren dudelt uns der Song ein Zwölftel des Jahres die Ohren voll und jeder in meiner Umgebung zuckt erschreckt zusammen, sobald er die ersten Akkorde nebst dazugehörigem „aaaaahhhhh..o-ho-ho-ho-hoooooooooo“ erklingen hört. Last Christmas, der Song, den jeder kennt und keiner mag.
Seit mittlerweile 31 Jahren dudelt uns der Song ein Zwölftel des Jahres die Ohren voll und jeder in meiner Umgebung zuckt erschreckt zusammen, sobald er die ersten Akkorde nebst dazugehörigem „aaaaahhhhh..o-ho-ho-ho-hoooooooooo“ erklingen hört. Last Christmas, der Song, den jeder kennt und keiner mag.
Und nun kommt der
überrasche Teil der ganzen Geschichte: Was an Last Christmas so
unglaublich nervt, so glaubt man zunächst, ist (neben dem nicht
gerade literaturnobelpreisverdächtigen Text) die scheinbare
Einfachheit, mit der er gestrickt ist. Scheinbar?
Ja, scheinbar. Denn ausgerechnet dieses Meisterwerk der Nervenzerstörung ist gar nicht so simpel, wie es zunächst erscheint. Der Song ist nämlich was Metrum, Reimschema und die Komposition als solche angeht, überraschend kompliziert. Last Christmas ist (man lese und staune) kein typisches Strophenlied, sondern im klassischen schubertianischen Stil durchkomponiert. Wer jetzt protestieren und auf die sich ständig wiederholenden Dudeleien verweisen möchte, möge doch an dieser Stelle bitte einmal die Strophe singen. Nein, nicht den Refrain, die Strophe meine ich. Ja, die gibt es. 2X sogar. Und genau da hakt es, denn die Strophen sind eben nicht identisch. Sie sind auch dem Refrain melodisch nicht ähnlich, scheinen keinerlei sinnvollen Metrum zu besitzen und passen nur irgendwie mehr oder weniger in das gängige Schema aus jeweils acht 4/4-Takten, da sie entweder extrem auftaktig, melismatisch oder aber eine hektische Aufeinanderfolge viel zu vieler Silben auf viel zuwenig Zeit mit dadurch kaum erkennbarer Melodie sind. Selbst das Reimschema ist in beiden Strophen nicht dasselbe, von den üblichen Parametern wie Silbenzahl oder Metrum mal ganz abgesehen.
Ja, scheinbar. Denn ausgerechnet dieses Meisterwerk der Nervenzerstörung ist gar nicht so simpel, wie es zunächst erscheint. Der Song ist nämlich was Metrum, Reimschema und die Komposition als solche angeht, überraschend kompliziert. Last Christmas ist (man lese und staune) kein typisches Strophenlied, sondern im klassischen schubertianischen Stil durchkomponiert. Wer jetzt protestieren und auf die sich ständig wiederholenden Dudeleien verweisen möchte, möge doch an dieser Stelle bitte einmal die Strophe singen. Nein, nicht den Refrain, die Strophe meine ich. Ja, die gibt es. 2X sogar. Und genau da hakt es, denn die Strophen sind eben nicht identisch. Sie sind auch dem Refrain melodisch nicht ähnlich, scheinen keinerlei sinnvollen Metrum zu besitzen und passen nur irgendwie mehr oder weniger in das gängige Schema aus jeweils acht 4/4-Takten, da sie entweder extrem auftaktig, melismatisch oder aber eine hektische Aufeinanderfolge viel zu vieler Silben auf viel zuwenig Zeit mit dadurch kaum erkennbarer Melodie sind. Selbst das Reimschema ist in beiden Strophen nicht dasselbe, von den üblichen Parametern wie Silbenzahl oder Metrum mal ganz abgesehen.
Packt man den Text
des Liedes so in eine Form, dass die Strophen nicht der musikalischen
Untermalung entsprechen, sondern quasi als Gedicht lesbar wären, so
ergibt sich folgendes Silben- und Reimschema:
Refrain:
8 Silben, A
6 Silben, B
5 Silben, B
2 Silben, C
5 Silben, C
8 Silben, D
Noch interessanter
sind die beiden Strophen:
6 Silben, E
11 Silben, E
4 Silben, F
6 Silben, F
11 Silben, E
11 Silben, G
11 Silben, G
8 Silben, H
13 Silben, I
Die beiden Strophen
sind also vollkommen unterschiedlich aufgebaut, der Text wimmelt von
Stellen, die über überhaupt keinen Endreim verfügen, wie sehr sich
das Ganze auch in Punkto Melodieführung voneinander unterscheiden
muss, ist also bereits dann klar, wenn man den Song noch nicht einmal
gehört hat. So gesehen handelt es sich bei diesem zunächst so
stupide erscheinenden Song dann doch noch um ein ganz
außergewöhnliches Stück Popmusikgeschichte. Einen
durchkomponierten Song mit derart vielen „Ungereimtheiten und
Schütteleien herauszubringen, muss man sich erst einmal trauen. Ich
vermute, die üblichen Verdächtgen aus der Produzentenbranche würden
mich nicht gerade zu einem gemeinsamen Abendessen und weiteren
Verhandlungen einladen, wenn ich ihnen einen derartigen Text
schickte, aber der Song hat funktioniert und tut es auch heute noch.
Und zwar deshalb, weil die weiteren äußeren Voraussetzungen nicht
nur stimmen, sonder tatsächlich derart penetrant umgesetzt wurden,
dass dem Durchschnittshörer die Eigenheiten des Werkes nicht einmal
auffallen. Das eingehende Akkordschema wurde vom ersten bis zum
letzten Takt durchgehalten, die 4/4 in Form von durchgängigen
Achteln überbetont, und dann hätten wir nicht zuletzt die
eingehende Melodie des Refrains, der so lange wiederholt wird, bis
wir eine Pause einschieben und wieder etwas essen konnten, damit wir
uns weiter übergeben können, und dann wäre da noch das Klimpern des Spielzeugspianos,
bei dem ich immer das Gefühl habe, es sei von der
Peanutfigur “Schroeder“ eingespielt worden, der sich damit das
Geld für die ewig neuen Beethovenbüsten verdient, die Lucy VanPelt
ihm ständig zerbricht.
Besonders spannend ist übrigens, dass ausgerechnet dieses Lied quasi stehenden Fußes
eine Klage nach sich zog, es sei von vorne bis hinten geklaut und
kopiert worden. Und tatsächlich ist der Song, um den es dabei ging,
was Akkordschema, Begleitfiguren und Eingängigkeit betrifft, „Last
Christmas“ tatsächlich extrem ähnlich, allerdings handelt es sich
hierbei tatsächlich um ein Strophenlied, und genau an dieser Stelle
muss man Wham tatsächlich mal ein Lob aussprechen: Das Lied des
Klägers Barry Manilow übertrifft den Nervfaktor des Weihnachtliedes
be Weitem. Die nicht durchkomponierte Form macht „Last Christmas“
zumindest irgendwie erträglich. Wenn auch nicht sehr.
Zu den Songs geht es
übrigens hier:
und nicht zuletzt
Schroeder mit Beethovens Klaviersonate Nr. 8
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