Silvester im Regen - Händels Feuerwerksmusik
Als ich noch ein ganz kleines Froeken war, da war Silvester eines der coolsten Ereignisse im Jahreslauf und kam gleich hinter dem Hexenfeuer am Schmutzigen Donnerstag und dem Tag, an dem die Kartoffeln eingefahren wurden und man nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Feld sitzen und die Restkartoffeln im Feuer garen konnte. Man merkt schon: Ich hatte einen nicht unerheblichen Hang zur Pyromanie, was aber nicht ganz so schlimm ist, wenn man noch so klein ist, dass man die Kerze in der Martinslaterne nur anzünden darf, wenn Papa daneben steht und aufpasst, dass man nicht die ganze Papierlampe in Brand setzt.
Jedenfalls gab es an Silvester Gäste,
vorzugsweise mit Kindern in meinem Alter, wir durften Rauchbomben abfackeln und
mussten nach dem Abendessen ins Bett, zum „Vorschlafen“. Kurz vor Mitternacht
wurden wir dann geweckt und starrten vor dem Haus auf das Geknalle und Geflimmer
im Nachthimmel, bis uns die Ohren schmerzten und sich an den Nasenhaaren Eiszapfen gebildet hatten.
Danach war wieder ein Jahr lang Ruhe, was Feuerwerke betraf. Knallen durfte man
damals nämlich nur in der Neujahrsnacht oder mit ausdrücklicher Genehmigung bei
großen Feierlichkeiten, was Privatmenschen vor der Erfindung des
Internethandels schon dadurch quasi unmöglich gemacht wurde, dass es weit und
breit keinen Laden gab, der außerhalb der letzten paar Tage eines Jahres
überhaupt Knallgedöns im Angebot hatte.
So ab und an, besonders in den
Sommermonaten, beschleicht mich das Gefühl, dass heutzutage ganz einfach jedes
Ereignis, jeder Geburtstag und jede Grillparty mit einem Feuerwerk geschmückt
werden muss, um überhaupt noch als Feier anerkannt zu werden. Nahezu an jedem
Wochenende fliegen mir die Böller um die Ohren (und einmal auch in mein
Strohlager, was ich bedeutend weniger witzig fand, als der Nachbar, der den
Böller losgelassen hatte). Der Bub hat eine 2 geschrieben? Lasst die Raketen
knallen! Oma wird 70? Bumm! Viel älter wird sie nach dem Schrecken vermutlich
nicht mehr werden. Dabei gibt es durchaus Ereignisse, die ein bisschen Getöse
verdient haben: Wenn ein Erbfolgekrieg zu Ende geht und das eigene Land daraus
als siegreichste und größte Seemacht Europas hervorgeht, zum Beispiel. Da darf
es auch mal ein bisschen lauter werden, dachte sich zumindest King George II von England, als er im Jahr 1748 die
große Fete anlässlich des Friedens von Aachen ausrief.
Und weil so ein
Feuerwerk alleine noch nicht laut genug ist, musste auch noch die passende Mugge
dazu her. Dass die Auswahl auf denjenigen fiel, der nicht gerade durch leise
Töne und ein bescheidenes Auftreten von sich Reden gemacht hatte, war da wohl
verständlich. Georg Friedrich Händel hatte bereits ordentlich für Budenzauber
gesorgt, als das österreichisch-britische Militär in der Schlacht bei
Dettingen über die französischen Truppen gesiegt hatte, und war ohnehin sozusagen der Pompmeister unter den
Pomösen; ein mit seinen damals 64 Jahren nicht mehr ganz junger Mann mit einer
Nase fürs Geschäft, einem Sinn dafür, mit wem man sich vernetzen sollte, und
einer wohl dokumentierten Vorliebe für Eiscreme. Letzere brachte ihm zwar einen
beachtlichen Bauchumfang und die eine oder andere Karrikatur mit einer
Schweinenase ein, half ihm aber in dieser Geschichte ebensowenig weiter wie
sein Gefühl für den Einsatz von Instrumenten. Voll, rund und ausgeglichen hatte
die Siegesmusik seiner Meinung nach zu sein. Dies bedeutete einen ausgewogenen
Einsatz aller Instrumente und vor Allem einen Haufen Streicher, um für ein
möglichst volles, samtiges Klangerlebnis zu sorgen. Wenn Musik dem Wein
nahekam, den man sich beim Komponieren hinter die Binde kippen konnte, war sie
gut.
Das
Feldherrengehör des Königs war hingegen mehr auf ordentlich Wums gestimmt. Er
wünschte praktisch eine erweiterte Militärkapelle mit Bläsern, die dem letzten
Fein das Trommelfell wegposaunieren. Die Trompeten von Jericho mitten in einem
englischen Feuerwerk. „Warum auch nicht?“ mag man sich denken, immerhin ist so
ein Streichensemble eine doch recht schwächelnde Geschichte, wenn man sich ein
riesiges Geknalle und Raketengefeuere dabei vorstellt, in etwa so, als würde
man versuchen, eine Zugdurchsage zu verstehen, wenn man mit einer Gruppe
Kindergartenkinder unterwegs ist. Kann man also nachvollziehen, was der König
da so wünschte. Händel sah die Sache allerdings ein wenig anders.
„Boh, Alter, nimm
das Krönchen von den Ohren und hör genau hin!“ wird er sich gedacht haben, als
er dem König den Federkrieg erklärte und einen Brief nach dem anderen schrieb,
in dem er den Streichereinsatz verteidigte.
Nun galt Händel
nicht gerade als der komporomissfreudigste unter den Komponisten. Einer
Anekdote zufolge soll er die auch nicht gerade als umgänglich bekannte Sängerin
Francesca Cuzzoni aus dem Fenster des 2. Stockes gehalten und damit gedroht
haben, sie fallen zu lassen, sofern sie nicht auf der Stelle und ohne zu murren
ihre Arie aus „Ottone“ singt, und dem ersten Geiger aus seinem Orchester eine
Pauke (Pauke, nicht Bongo, nur mal so, um sich die Größe vorstellen zu können)
an den Schädel gedonnert haben, nachdem sich dieser einen Spaß daraus gemacht
hatte, entgegen der Anordnung sein Instrument im Konzertsaal zu stimmen. Man
kann sich also vorstellen, dass bei Hofe vermutlich Wettbüros und Popcornstände
aufgemacht haben, während man darauf wartete, wie die Sache Georg gegen Georg
denn ausgehen würde. Nun denn: Georg gewann! Haha!
Nein, ernsthaft,
Händel schien tatsächlich nachzugeben, die Musik wurde von einem Ensemble aus
Bläsern und Pauken streicherlos in die Nacht hinaus getrötet, nur so ganz scheint
sich der Maestro dann aber doch nicht abgefunden zu haben, mit den Anweisungen von
oben:
Erstens klingt die Feuerwerksmusik
zwar durchaus pompös und dem feierlichen Anlass angemessen, hat aber bei
genauerer Betrachtung weit mehr tänzerische als kriegerisch-marschierende
Elemente, und zweitens vermerkte der Komponist gleich danach in der Partitur,
dass - und an welcher Stelle - eben doch die Streicher loszulegen hätten. So
kann man es eben auch machen: Am Ende haben beide ihren Willen bekommen und ihr
Gesicht gewahrt, das Volk hatte seinen Spaß, und bereits einen knappen Monat
später gab es die Version mit den Streichern (und abzüglich ein paar Bläsern) anlässlich
eines Benefizkonzertes zugunsten des Londoner Foundling Hospitals, das sich um
ausgesetzte Babies kümmerte, Dank der als Ausstellungs- und Konzertsaal
genutzten Säle und Kapellräume jedoch auch zu einem von Händel oft
unterstützten Kulturzentrum entwickelt hatte, zu hören.
So weit, so gut, mag man denken,
allerdings schöpfte Händel bekanntlich gerne aus dem Vollen, und behielt diese
Angewohnheit auch bei, wenn es ums Streiten ging. Zoffen kann man sich nämlich
nicht nur um die Musik selbst, sondern ebensogut um die Aufführung,
beziehungsweise den Aufführungsort oder auch die Frage, was man sich an
Publikum vorgestellt hat. Was die Aufführung als solche betraf, war die Sache
klar: Eine öffentliche Feier ist eben öffentlich, da kann kommen, wer will,
oder zumindest, wer es sich leisten kann, anzureisen, ein der dem Anlass
entsprechend überteuertes Quartier zu beziehen, und in angemessener Klamotte im
für die Feierlichkeiten vorgesehenen Green Park vorbeizurauschen, solange es
noch Plätze gibt. Anders sieht die Sache
aus, wenn es um die Proben geht: Da kann man die Läden offenlassen, muss es
aber nicht. Für Händel war klar, dass die Türen geschlossen blieben, auch während
der Generalprobe: Wer braucht schon Gaffer, wenn er arbeiten will, und zudem
ist so eine öffentliche Generalprobe einer Premiere ja auch ein bisschen wie ein
Adventskalender-Unboxing bei Youtube: Der ganze Spaß und die Aufregungen sind
beim Teufel, wenn man ohnehin weiß, was sich hinter den Türchen so verbirgt.
Auch in diesem Punkt gab der Meister allerdings nach, und so fand die
öffentliche Generalprobe dann am 21. April 1749 vor den Augen
der Öffentlichkeit in Vauxhall Gardens statt, was im übrigen für einen
unfassbaren Verkehrststau gesorgt haben muss, aber so ist das eben, wenn G.F.
Händel oder Justin Bieder öffentlich proben.
Immerhin schien es an diesem Tag
wenigstens gutes Wetter gegeben zu haben, ganz im Gegensatz zum tatsächlichen
Festtag, dem 27. April, an dem das englische Wetter mal wieder zeigte, was so
ein schöner Nieselregen so alles kann. Vor allem für das anzünden von
Feuerwerkskörpern eignet sich nasskaltes Wetter ganz vorzüglich *hust*, weshalb
es auch nicht verwundert, dass man ein bisschen großzügiger umgegangen ist, mit
dem Feuer, und bei der Gelegenheit gleich die Bühne mit in Brand gesteckt hat.
Zumindest ein Teil der Konstruktion fing Feuer, im Gegensatz zu den Knallern
und Raketen, die eher an Flatulenzen, als an Gewehrschüsse erinnert haben
mussten. Aber immerhin hatte man ja gute Musik im Gepäck, und die reißt ja
bekanntermaßen jede Fete heraus. Und für jemanden, der bereits sein Geld in ein
nie wirklich zustande gekommenes Sklavenhandelsunternehmen aus Südamerika (die
sogenannte „Südsee-Blase“, die Südsee bezeichnete damals nicht dasselbe Gebiet
wie heute) investiert und verloren hatte, der mit seinen Opern in England
gnadenlos baden gegangen war, und der bereits ein komplettes Opernunternehmen
in den Sand gesetzt hatte, ist ein verregnetes Feuerwerk vermutlich Kinderkram.
Denn außer in seinem Kompositionen war Herr Händel noch in einer anderen Sache
unschlagbar: Aufstehen, Perücke zurechtrücken und weitergehen, als wäre nie
etwas passiert.
Wir sind wieder unterwegs
Weihnachtsfeier im Institut für Musikwissenschaft
Feuerzangenbowle, vom Meister M. persönlich kurz- und kleingefackelt
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