Der Soundtrack zum Holocaust? Wagner in Israel
„Wagner war Antisemit. Deswegen mag ich ihn nicht“ steht als Eintragung im Gästebuch des Lohengrin-Hauses in Graupa. Offensichtlich war der Verfasser im Rahmen eines Schulausfluges durch das Museumshaus geschleift worden, und auch wenn die hinterlassene Bemerkung den Betreibern der Gedenkstätte vermutlich nicht zur Anregung dient, irgendetwas besser oder ansprechender zu gestalten, sondern für sich genommen schon wieder ein zeitgeschichtliches Dokument darstellt (nämlich eine schriftliche Hinterlassenschaft der Generation Meinungsfreiheit-auch-wenn-sie-keinen-interessiert), war sie doch eine der wenigen sinnvollen Eintragungen inmitten einer Wolke aus „Ich war hier“ , „Hetti ist doof“, „Lola for ever“ sowie den unvermeidlichen Würmchen und Ottifanten. Nur mal so am Rande: Hat eigentlich schon jemals jemand einen Eintrag gelesen, der aus den Worten „ich war nicht hier“ bestand? Es gäbe ja immerhin die Möglichkeit, jemandem, der tatsächlich zu den Besuchern zählt, seinen vorgeschriebenen Spruch auf Papier oder Post-it mitzugeben, so dass dieser ihn dann nur noch im Gästebuch einzukleben braucht – wobei die Schwierigkeiten vermutlich schon bei der Frage beginnen, ob jemand, der gar nicht vor Ort, also im Grunde auch gar kein Gast ist, überhaupt eine Berechtigung hat, etwas in ein Gästebuch einzutragen. Alle anderen, die das Buch nutzen, müssen dazu ja erstmal das Gelände betreten und haben damit quasi automatisch Gaststatus erlangt... Ist ein Einbrecher, der ein kostenlos betretbares Museum betritt, sich also erstmal nicht um den Eintritt herummogelt, denn eigentlich auch ein Gast? Und darf er sich dann ins Gästebuch eintragen, ehe er sich mit den ausgestellten Devotionalien aus dem Staub macht? „Wagner war Antisemit. Aber sein Nachtschränkchen ist schön. Das nehm ich mal mit. Hetti ist übrigens doof.“ - tja, das wären Fragen für die Challenge-WBS-Videos dieser Youtuber-Kanzlei mit dem zwanghaft locker-flockigen Law-Man (der allerdings immer wieder ziemlich interessante Fragen beantwortet).
Aber zurück zu Wagner und seinen
Einstellungen zum Thema Gleichberechtigung und Toleranz:
Seine stellenweise erschreckend
antijüdische Einstellung, wie er sie unter anderem in seiner
teilweise doch recht verbohrten Schrift „Das Judenthum in der
Musik“ zum Ausdruck brachte, lässt den heutigen Leser schon schwer
schlucken. Den damaligen Leser vermutlich weit weniger, denn Wagner
hatte diese Einstellung ja nicht beim Aufräumen im Keller gefunden.
Ein gewisser Antisemitismus war zu seiner Zeit durchaus verbreitet
und wurde in aller Ruhe beim Nachmittagstee dikutiert, ohne dass man
sich dabei Gedanken machen musste, von irgend jemandem komisch
angesehen zu werden. Nicht mal von den jüdischen Bekannten, die bei
den Wagners ja teilweise mit am Tisch saßen und in derartigen
Situationen vermutlich einfach ihre Schuhspitzen rund gestarrt haben
dürften.
Aber so viele jüdische Freunde und
Bekannte er privat auch gehabt (und gebraucht) haben mag, so oft man
seine Sprüche einfach nur seiner Ehrenkäsigkeit und einer
Bockigkeit, die einem Dreijährigen zu Ehren gereicht, zuschreiben
kann, so manches sollte man vor der Veröffentlichung dann doch
lieber ein paar Wochen in der Schublade ruhen lassen. Oder es einem
Menschen zu lesen geben, der nicht ausgerechnet Cosima Wagner heißt.
Anders gesagt: Was man nicht unter seinem eigenen Namen
veröffentlichen würde, das sollte man dann vielleicht besser gar
nicht veröffentlichen. Eine Einstellung, die sich in Zeiten des
Internet-Hatens vielleicht sogar bezahlt machen würde.
Vor dem Hintergrund der Märzrevolution
und der Abgrenzung von Metternichs Restaurationspolitik sowie einer
etwas eigentümlichen Auslegung der heiligen Allianz ist Wagners
Deutschtümelei durchaus verständlich und auch bei Lohengrins
Ausspruch, die Horden des Ostens sollte niemals nach Deutschland
ziehen, kann man die Worte „Deutschland“ und „Polen“ quasi
austauschen. Auch das muss bedacht werden, wenn man heute, zwei
Weltkriege später, mit der Weisheit der Spätgeborenen liest, was
Wagner so von sich gab. Dass wir heute wissen, was Hitler und
Konsorten jahrzehnte nach Wagners Tod in seine Werke
hineininerpretiert haben, kann man Richard Wagner ja genausoschlecht
vorwerfen, wie die Nazipropaganda, in der seine Schwiegertochter
Winifred so aufgegangen ist. Trotzdem bleibt diese Verbindung
irgendwie kleben. Das Argument vieler Wagnerianer, Wagners Musik und
Wagners Einstellung seien immerhin zwei völlig getrennte Phänomene,
kann ich widerum nicht so einfach unterschreiben. Immerhin hat der
Richie (im Gegensatz zu seinem Sohn) keine Märchen vertont, sondern
seine eigenen Libretti geschrieben. Und dass die Handlungsweisen und
Schicksale seiner Figuren, die ja stets zwischenVernichung und
Erlösung hin- und hergerissen sind, die Einstellung ihres Schöpfers
widerspiegeln, würde ich jetzt nicht so einfach als unrichtig abtun.
Kurz und gut, die Wagners lassen sich
vermutlich ebensowenig gesondert betrachten wie die Ewings oder die
Simpsons, und frei nach dem Motto „Der Apfel fällt nicht weit vom
Stamm“ wird ihnen quasi eine Art Clandenken unterstellt, unter dem
das eine oder andere Familienmitglied heute noch leidet. Unterstützt
von der Tatsache, dass jeder Nazi, der etwas auf sich hielt,
versuchte, sich bei irgendeiner Aufführung in Bayreuth sehen zu
lassen, ist es mehr als verständlich, dass die Idee einer Wagneroper
in Israel nicht gerade Begeisterungsstürme auslöst.
Versucht man, eine Oper in irgendeiner
auch nur annähernd veränderten Form oder an einem ungewohnten Ort
auf die Bühne zu bringen, kann man damit eklatant auf die Nase
fallen. Die Liste der Dinge, die dabei schieflaufen können, ist
schier endlos, von abspringenden Musikern über unangebrachte
Inszenierungen, Witze, die niemand versteht, zeitgeschichtliche
Anspielungen, die den Leuten auf den Wecker fallen, die nicht zu der
Gruppe gehören, die statt dessen dann meckert, wenn man versucht,
etwas möglichst originalgetreu auf die Bretter zu bekommen... Wagner
ist ohnehin ein Fall für sich, was die Frage nach einer
originalgetreuen oder modernen Inszenierung angeht (es kann sich eben
nicht jeder mit einer Bühne voll schwarzer und weißer Mäuse und
schweinchenrosa Mäusekinder arrangieren)...tja, und wenn man sich
den Risikofaktor zu Nutze machen will, der am zielstrebigsten dafür
sorgt, dass man mit Pauken und Trompeten auf die Nase fliegt, dann
wählt man als Spielstätte am besten Jerusalem.
Daniel Barenboim musste im Jahr 2001
seine geplante Aufführung der Walküre trotz ausverkauftem Haus
absagen, da sich wenige Wochen vor dem Ereignis die Politik in sein
Projekt eingemischt hatte. Bitte kein Wagner in Jerusalem, dafür
plädierte auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum, das in diesem
Zusammenhang eine einstweilige Verfügung beantragt hatte. Und dabei
hatte Barenboim bereits die abgespeckte Version geplant und nur den
ersten Akt zur Aufführung bringen wollen.
Aber Barenboims sind wie Wagners: Wenn
sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt haben, dann ziehen sie es
auch durch. Und so gab der Dirigent am Ende des ursprünglich
geplanten Walküre-Programms, das flugs durch Schumanns 4. und
Strawinskys Sacre du Printemps ersetzt worden war, eben eine
wagnerische Zugabe. Unwohlmeinende Zeitungen unterstellten ihm
nachträglich, er habe dem Publikum quasi erklärt, wem es nicht
passe, der könne ja gehen, wobei in diesem Fall auch außerhalb der
Noten der Ton die Musik machte: Tatsächlich hatte er die Zugabe
extra angekündigt und lange genug gewartet, um denjenigen, die sie
tatsächlich nicht hören wollten, Gelegenheit zu geben, ihre
Ablehnung auszudrücken, indem sie den Saal verließen. Ist ja
rgendwie auch ein Indikator dafür, wer was hören mag. Und
tatsächlich war die überwiegende Menge der Zusachauer auf ihren
Plätzen geblieben und hatte einen lautstark protestierenden
Konzertgänger sogar gnadenlos überklatscht. Erfolg kommt eben auch
in kleinen Dosen.
Wie klein die Dosen sind und wie
schnell man sich Ärger einhandeln kann, wenn man die Dosis ohne
ärztliche Zustimmung erhöht, zeigt die Tatsache, dass es auch zehn
Jahre später noch nicht möglich war, ein Konzert mit Wagnerstücken
auf die Bühne zu bekommen. 2012 scheiterte ein Versuch des
Vorsitzenden der Israelischen Wagner-Gesellschaft (die, man lese und
staune, sogar richtige, echte Mitglieder hat), Jonathan Linvy, die
Musik des umstrittenen Komponisten auf die Bühne des Auditoriums der
Universität Tel Aviv zu bekommen. Der bereits bestehende Vertrag
wurde mit der Begründung, man habe nicht gewusst, auf was man sich
da einließe, gekündigt. Livy kündigte daraufhin eine Klage an,
immerhin hatte man bereits Mitwirkende engagiert und Karten verkauft.
"Mein Vater hat immer gesagt: Wagner war ein widerlicher Mensch,
aber er hat die beste Musik geschrieben" erklärt der
Konzertveranstalter und pocht damit noch einmal auf die Trennung
zwischen Werk und Gesinnung.
Immerhin: Wenn der Prophet nicht auf
dem Berg spielen darf, dann muss sich eben der Berg in Bewegung
setzen und die Töne in Bayreuth anschlagen. So geschehen im selben
Jahr, als das Israelische Kammerorchester beschloss, nicht nur in der
Festspielstadt aufzukreuzen, sondern dort auch ein Stück Wagners zu
spielen. Zwar nur als ein Teil eines groß angelegten Programmes,
aber immerhin spektakulär genug, um eien wahren Shitstorm in den
sozialen Medien auszulösen und erhöhte Sicherheitsbestimmungen im
Konzertsaat nötig zu machen. Wagner, so hieß es, habe quasi den
Soundtrack zum Holocaust komponiert. Und wer sich dazu engagieren
lässt, der holt wahrscheinlich auch die Geige heraus und spielt ein
Tänzchen, wenn die eigene Familie vernichtet wird. So leicht wird
man also vom Musiker zum Volksverräter. In einem Land wie
Deutschland, in dem es sich immer wieder zeigt, dass freie
Meinungsaüßerung und ähnliche Rechte es Mal für Mal unmöglich
machen, die Auftritte offensichtlich rechtsgerichtete Musiker bei
Parteitagen und Veranstaltungen ebenso rechtsgerichteter
Gruppierungen zu unterbinden, kann man über soviel Engagement von
Außen nur staunen und -auch wenn man die Beweggründe nicht immer
nachvollziehen kann- nach einem Hut suchen, den man ziehen kann.
Undis genießt die Sonne
...das Fröken ebenso
Beete aufforsten mit Pflnzen aus dem Kräuterhof
Ja, an solchen Stellen komme ich vorbei, wenn ich zu Fuß in die Stadt gehe :)
Nur für den Fall, dass sich jemand fragt, weshalb ich so weit draußen wohne...
Undis genießt die Sonne
...das Fröken ebenso
Beete aufforsten mit Pflnzen aus dem Kräuterhof
Ja, an solchen Stellen komme ich vorbei, wenn ich zu Fuß in die Stadt gehe :)
Nur für den Fall, dass sich jemand fragt, weshalb ich so weit draußen wohne...
Kommentare
Kommentar veröffentlichen