Der hübsche Herr Ballerina... Lully, die 2.
In Versailles wurde
intrigiert, was das Zeug hielt, allerdings hatten sie sich mit dem
tanzenden Toskaner den falschen ausgesucht, denn Jean Baptiste
Lully, wie sich Giovanni Battista Lulli nach der Annahme der
französischen Staatsbürgerschaft 1661 nannte, war weder auf den
Kopf gefallen, noch hatte er vor, sich in irgendeiner Weise vom
Komponistenthron stoßen zu lassen. Im Gegenteil: Lully zu ärgern
war etwa so, als versuchte man, alle 5 Minuten an ein
Killerbienennest zu klopfen. Irgendwann bezahlt man das Spiel mit
seinem Leben, bzw in Lullys Fall mit dem Verlust sämtlicher
Privilegien und Stellungen bei Hofe, denn noch waren Louis und
Jean-Bap wie Schoko und Lade und der sparsame Herr Kardinal von
vorhin hatte ihn ebenfalls unter seine Fittiche genommen.
Die Liebe des
Kardinals zur italienischen Musik war Lully an dieser Stelle zwar
ganz recht, andererseits hatte er sich längst einen Kompositionsstil
angeeignet, der mit dem, was in Italien gerade modern war, nicht viel
zu tun hatte. Im Gegenteil: Er, der Italiener, war mittlerweile
französischer als die Franzosen, und lag damit ganz weit vorne bei
seinem königlichen Freund.
So schrieb Lully
Ballettmusik und tanzte dazu, unterhielt den Hof und schaffte mit dem
Ballett “Amour Malade” den ganz großen Durchbruch, ehe er mehr
wollte (und konnte), als nur die damals üblichen Balletteinlagern
für die Oper zu schreiben. 1661 ernannte ihn de Sonnenkönig dann
auch zum Surintendant de la musique du roi, was ungefähr genauso
verwirrend klingt, wie es ist. Die erste Übersetzung, die man für
“Surintendant” findet, ist (neben der zwar verständlichen Idee,
Amtsbezeichungen einfach überhaupt nicht zu übersetzen, sondern in
Anführungszeichen zu übernehmen, was den geneigten Leser aber
überhaupt nicht weiter, dafür irgendwann ziemlich in Rage bringt)
die englische Bezeichnung “Superintendent”. Klasse. Hat mich auch
gehelft. Wenn man allerdings die Beamtenlaufbahnen in Frankreich ein
bisschen genauer recherchiert, zeigt sich, dass es sich bei einem
Surintendant quasi um einen Bereichs- oder Ressortleiter handelt.
Insofern ist es wahrscheinlich gar nicht so schlecht, Surintendant de
la musique du roi zu sei. Kann einem wenigstens keiner reinreden.
Außer dem König natürlich.
Amour
Malade = Kranke Liebe... nachdem die gleichgeschlechtliche Ehe im
Frankreich des 17. Jahrhunderts noch ein Fremdwort war, der Staat
viele kleine glückliche Prinzen brauchte, war die Heirat des Königs
mit Maria Theresia von Spanien zur Folge hatte, und auch der hübsche
Herr Ballerina irgendwann das Gerede um seine Neigungen beenden
musste, heiratete Lully im Folgejahr Madeleine, die Tochter der
Sängerin Gabrielle Dupuy und des königlichen Kammermusikmeisters
und späteren Kapellmeisters, des Komponisten Michel Lambert, dessen
wunderschöne Airs de Cour man hier
und hier
genießen kann.
Wie man die Musik bei Hofe in der Familie behält, wusste Lully also
genausogut,wie er wusste, wie man sein Geld sicher anlegt.
Mittlerweile nannte er nämlich einige Immobilien sein Eigen. Auf
die angesprochenen Airs de Cour sollte man übrigens noch einmal ein
besonderes Auge (bzw Ohr) werfen, wenn man die Arien der französichen
Oper mag. Die Airs haben deren Form nämlich nicht unerheblich
mitbeeinflusst.
Richtig in die Vollen ging es dann ab 1664, als Lully begann, mit seinem
Freund, dem Schauspieler und Dramatiker Molière zusammenzuarbeiten.
Diese äußerst fruchtbare und erfolgreiche Zusammenarbeit hatte
ihren Ursprug witzigerweise in einer absoluten Notlage: Molière
hatte ein Schauspiel aufzuführen (“Die Lästigen”), aber viel
weniger Schauspieler, als Rollen, so dass sich die Akteure während
des Stückes mehrfach umziehen mussten, wofür aber nach der
ursprünglichen Szenenabfolge gar nicht genügend Zeit zur Verfügung
stand. Lully hatte die rettende Idee, einfach Tanznummern
dazwischenzuschieben und lieferte auch gleich die Musik dazu. Das
Ergebnis war ein durchschlagender Erfolg und die beiden arbeiteten in
den folgenden Jahren an weiteren erfolgreichen Produktionen zusammen,
unter anderem an “Le bourgeois Gentilhomme” (“Der Bürger als
Edelmann”), einer Komödie, die eines der bekanntesten Stücke
Lullys enthält: Den Marsch der Türken (La Marche des Turcs)
Dass es sich bei diesem Stück ausgerechnet um einen Aufmarsch der
Türken, und nicht etwa der Russen, Japaner oder sonst etwas
handelte, hatte übrigens seinen Grund (und zwar ehrlich gesagt
keinen besonders schönen): Zwischen Frankreich und der osmanischen
Regierung herrschten zur damaligen Zeit politische Spannungen und
Louis XIV hatte die Molière und Lully nach einem schlecht laufenden
Gipfeltreffen damit beauftragt, ein Stück zu schreiben, in dem es
einen möglichst lächerlichen Türkenaufmarsch gab. Tolle
Voraussetzungen, um ein Werk auf die Beine zu stellen: Seine eigenen
Ansichten erst mal zu vergessen, um einen König zufriedenzustellen,
der sich benimmt wie ein eingeschnappter Fünfjähriger, der sein Eis
nicht bekommen hat. Aber gut, Auftrag ist Auftrag, die Kunst geht
nach Brot, wie Lessing etwa 100 Jahre später formulierte, und von
Kunstfreiheit konnte ohnehin keine Rede sein. Der Staat, das war der
König (auch wenn er diese “L'état, C'est moi”- Aussage
ebensowenig getätigt hatte, wie Marie Antoinette später die Sache
mit dem Brot und dem Kuchen, aber das ist wieder ein ganz anderes
Thema).
Die beiden Jean Baptistes (ja, Molière hieß ebenfalls so)
arbeiteten acht Jahre lang zusammen, ehe sie sich schließlich in die
gepuderten Perückenhaare bekamen und trennten, wobei einer der Gründe für die ganze
Misere in der Monopolstellung zu suchen ist, die Lully im Jahr 1672
von König erhielt: Das Privileg zur Gründung einer Königlichen
Musikakademie beinhaltete faktisch ein Monopol für Opernaufführugen
in Frankreich. Laut Dekret war es anderen Theaterensembles nämlich
nicht gestattet, Opern aufzuführen, zudem gingen die Eigentumsrechte
an sämtlichen Texten, die jemals von Lully vertont wurden, an diesen
über, was selbstverständlich auch die Texte von Molière betraf,
der die ganze Sache verständlicherweise nicht besonders witzig fand.
Die Rechte an seinen eigenen Texten hätte er dann doch gerne
behalten, wenns recht ist... am liebsten wäre ihm wohl ein eigenes
Monopol auf Opernlibretti gewesen... wie dem auch sei, die Wege der
“beiden großen Baptistes”, wie sie auch genannt wurden, trennten
sich im Streit.
Schade eigentlich, denn auch wenn Lully weiterhin wunderbare Musik
schrieb, an die ehemaligen Erfolge anzuknüpfen war nicht leicht. Und
er befand sich auch wirklich nicht in einer Lage, in der er sich
seine Freunde hätte aussuchen können.
Die Saison geht wieder los :D Die Bühne ruft.
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