Was ist Musik? Klappe die 1.
„Was ist
eigentlich Musik?“
Diese Frage wurde
uns zu Beginn unseres Studiums in einer Einführungsveranstaltung
gestellt und sollte sich, trotz Einbeziehung gängiger Lexika, als
unbeantwortbar erweisen. Auch der Versuch, einen Blogpost über das
Thema zu verfassen, scheiterte an der Komplexität des Themas. Es
gibt einfach zu viele Faktoren, die Musik zu Musik machen, und
gleichzeitig zu viele Gegenbeispiele aus dem musikalischen Bereich.
Stücke, die weder Töne noch Rhythmus, Lautstärkenunterschiede,
Metrum oder ähnliches besitzen, aber trotz alledem Musik sind. Zu
viele, um das Thema auf einmal abzuhandeln, was mal wieder zu einer
„Reihe“ aus 2 Beiträgen führen wird, von denen der zweite Teil
nächste Woche online geht und verlinkt wird.
Dass Musik stark vom
persönlichen Geschmack geprägt wird und sich für jeden, je nach
bevorzugter Stilrichtung etwas anders definiert, ist verständlich,
aber dass selbst Standardnachschlagewerke Definitionen stellten, die
man ohne große Umschweife durch einfaches Nennen großer
musikalischer Werke entkräften konnte, verwunderte uns dann doch.
Vermutlich verhält es sich mit der Tonkunst so, wie mit der Kunst im
Allgemeinen: Kunst ist eben das, was man dafür erklärt.
„Kunst kommt von
Können oder von Kennen her“ formulierte Johann Gottfried Herder in
Kalligone, „Jedenfalls muss sie beides in gehörigem Grad
verbinden“, was erklärt, weshalb Kasimir Malewitschs Weißes
Quadrat auf weißem Grund Kunst ist, ein zufälligerweise
unbeschrieben belassenes Stück Papier hingegen nicht.
Es sei denn, wir
machen es dazu. Wählen wir also ganz im Stile des Dadaismus per
Würfelorakel, oder, mehr Cage zugetan, per I-Ging-Prinzip ein Blatt
aus einem Stapel (das Zufallsprinzip symbolisiert dabei die
scheinbare Zufälligkeit menschlicher Begegnungen) von 13
unbeschriebenen Blättern aus (13 Menschen sind uns „damals“
begegnet, nur einer davon hat etwas in uns ausgelöst) und geben wir
ihm einen Titel, der die Absicht des Weglassens erklärt, wie etwa
„All die Gründe, aus denen ich Dich nicht vergessen kann“ oder
„Was ich Dir schon immer schreiben wollte, aber niemals wagen würde“, und schon haben wir ein Kunstwerk. Irgendwie zumindest,
obwohl ich zugeben muss, dass ich die Idee im Nachhinein gar nicht
schlecht finde... hätten wir einen Namen in der Kunstszene, ließe
sich das Ding vermutlich sogar an den Mann oder die Frau bringen.
Es scheint also die
Absicht zu sein, die ein Werk nachvollziehbar macht. Oder eben auch
nicht; dann eckt es an, wird verrissen und vielleicht auch
verteidigt, sorgt für Ärger, für Publikum, das zischend den Saal
verlässt oder, wie selbst miterlebt, die Bühne erklimmt um sich mit
den Orchestermitgliedern zu kloppen wie Hooligans bei einem
Fußballspiel.
Fast scheint es, als ob Kunst polarisieren müsse, um
als solche durchgehen zu können.
Wer einfach nur schön malt, ohne
genau damit etwas ausdrücken zu wollen, ist heutzutage also
irgendwie kein Künstler mehr. Da hat der Begriff einen ziemlichen
Bedeutungswandel durchgemacht, vom Mittelalter bis heute. Damals, als
Künstler ihre Werke noch nicht signierten, höchstens mit einem
Kürzel versahen, wie Steinmetze ihre Mauersteine, da sich ein
Künstler noch als reinen Handwerker verstand, über die
Neudefinition des Künstlers mit der Wandlung des Menschenbildes zum
Individuum im Frühbarock, bis heute, wo die Absicht mehr zählt als
das Handwerk, das dahintersteckt. Kann man sich die Bachs so
vorstellen? Friedemann, Anna Magdalena, Catharina Dorothea, Carl
Philipp, Christian...alle stehen sie um den Hausherrn herum und
verlangen Erwähnung an den Stellen, die sie ausgesetzt, bearbeitet,
korrigiert, arrangiert haben, im Handwerksbetrieb Bach in der alten
Thomasschule... „Papa, Papa, ich will auch im Programmheft
erscheinen...und klatschen sollen sie bei mir auch!“ „Alles klar,
Johann Christian, klatschen kann ich Dir eine, wenn Dich das
irgendwie beruhigt...“ Die Bach-Family, das Gesamtkunstwerk. Die
Vorläufer der Kelly-Family. Kinder gab es ja mindestens genauso
viele, Instrumente konnten sie auch alle spielen, singen
sowieso...warum also nicht. Nur an den Outfits hätten sie noch
arbeiten müssen, dafür sahen sie für den damaligen Geschmack
einfach nicht abgeratzt genug aus.
Muss man heute also
für alles einen gesellschaftskritischen Ansatz haben, um einfach nur
das machen zu dürfen, was man eigentlich will: Musik nämlich?
Braucht man eine Rechtfertigung dafür, auch einmal etwas
Stinklangweiliges aufzuführen? Also quasi ein bewusst langweiliges Stück auszuwählen, um damit gegen die Schnelllebigkeit und Informationsflut der heutigen Gesellschaft anzustinken?
Ich gebe zu, auch ich wünsche mir
mehr Offenheit bei Konzerten, nicht immer nur dieselben abgenudelten
Stücke, die zum Standardrepertoire eines jeden Garagenorchesters
gehören, insbesondere, wenn es sich um Staatsorchester handelt, die
ja auch einen gewissen Auftrag haben, nicht nur die breite Masse zu
bedienen, sondern eben auch – wie eine Staatsgalerie- ein wenig
pädagogisch zu wirken und den Menschen Neues nahezubringen. Ein
Barockorchester, das sich auf historische Aufführungspraxis auf
ebensolchen Instrumenten spezialisiert hat, braucht denselben
Anspruch nicht zu erfüllen, dafür wird es aber auch nicht
subventioniert und spricht eine ganz andere Zielgruppe an. Und da
haben wir auch gleich eines der Probleme: Material gibt es mehr als
genug, nur möchte man ja nicht unbedingt vor leeren Sitzreihen
spielen, und für ein volles Haus eignet sich Beethovens Neunte eben
besser als Burgmüllers Zweite, obwohl auch diese die eine oder
andere Aufführung verdient hätte.
Der alte „Das
kenne ich, das hat die Frau Meisinger auch mal empfohlen, die geht da
ja immer zu den Sommerkonzerten“-Faktor scheint sich also bewährt
zu haben, wenn es darum geht, ein volles Haus zu garantieren, und
erinnert irgendwie an Sätze wie „Das kenne ich, das hat meiner
Schwester ihrer Nachbarin die Schwägerin in grün. Das kauf' ich!“,
die man auf jeder Tupperware-Verkaufsveranstaltung zu hören bekommt.
Konzerte: Veranstaltungen irgendwo in den unendlichen Tiefen zwischen
Tupperparty und Massenschlägerei? Edukationsverpflichtung versus
Hörgenuss? Woher kommt er eigentlich, dieser Zwang, immer alles
definieren und schublatieren zu wollen?
Tee im Gloria... wie immer irgendwie :)
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